Grüne Ergebnisse: Unter den Erwartungen
Noch nie schnitt die Öko-Partei so gut bei einer Bundestagswahl ab. Und trotzdem verfehlen die Grünen ihr Ziel, drittstärkste Kraft im Bundestag zu werden.
Zur drittstärksten Kraft hat es nicht gereicht. Und auch das andere große Wahlziel, Schwarz-Gelb zu verhindern, haben sie nicht erreicht. Die Grünen werden mit einem Ergebnis von gut 10,7 Prozent weiterhin als kleinste Oppositionspartei auf den Plätzen im mittleren Kuchenstück des Bundestags Platz nehmen. Immerhin: Es ist das beste grüne Wahlergebnis im Bund aller Zeiten.
"Es ist gelungen, noch einmal eine Million zusätzlicher Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren", sagte Spitzenkandidat Jürgen Trittin auf seinem Auftritt im Berliner „Postbahnhof“ am Ostbahnhof nach den ersten Hochrechnungen kurz nach 18 Uhr. "Gegen die Schwarzgelben, gegen die Radioaktiven gibt es jetzt knallharte Opposition", rief Trittin in die Halle. "Ich freue mich schon so, wir werden so viel mehr profilierte Umweltpolitiker bekommen und damit in unserer Kernkompetenz noch mehr glänzen", behauptete unmittelbar vor der Wahl ein grüner Abgeordneter mit vorderem Listenrang.
Doch dämpften der so eindeutig wirkende schwarz-gelbe Sieg und die katastrophalen Verluste der SPD die Freude am Sonntagabend bei den Grünen doch beträchtlich. Die einzige wirklich begeisterte Note erst bekam der Jubel, als bekannt wurde, dass die Brandenburger Grünen erstmals seit 15 Jahren den Einzug in den Landtag in Potsdam geschafft haben.
Die "grüne Volkspartei", von der mancher nach der Europawahl im Juni geschwärmt hatte, existiert jedoch nach wie vor bestenfalls in den Altbauvierteln der großen und mancher Universitäts-Städte. Christian Ströbele immerhin konnte seinen Wahlkreis Berlin Kreuzberg-Friedrichshain erneut mit großer Erststimmenmehrheit direkt gewinnen.
Stimmen:
CDU/CSU 33,8% (-1,4)
SPD 23% (-11,2)
FDP 14,6% (+4,8)
Linke 11,9% (+3,2)
Grüne 10,7% (+2,6)
Piraten 2,0% (-)
NPD 1,5% (-0,1)
Sitze (622):
Union 239, FDP 93 – zusammen 332
SPD 146, Linke 76, Grüne 68 – zusammen 290
Die Analysten werden es schwer haben, jetzt Strategiefehler im grünen Wahlkampf auszumachen. Dieser war "grün pur" geführt worden - mit Betonung auf dem Programm und ohne besondere Ausrichtung auf eine angestrebte Koalition. In Erwartung einer Arbeitsmarktkrise schon vorm Wahltag hatten die Grünen ihren thematischen Schwerpunkt frühzeitig auf "Jobs Jobs Jobs" gelegt. Dies war nun angesichts der weitgehend gelungenen Verschiebung der Wirtschaftskrise aufs kommende Jahr gar nicht nötig, dürfte jedoch den Grünen auch nicht geschadet haben.
Ob es ihnen genutzt hätte, mehr über Regierungsoptionen zu reden, darf bezweifelt werden. Zwar hätte es den als langweilig geschmähten Wahlkampf sicherlich aufgepeppt, wenn die Grünen sich nicht gegen ein schwarz-gelb-grünes "Jamaika"-Bündnis festgelegt hätten. Nur hätten sie dann einen großen Teil der rot-grünen WechselwählerInnen verloren, die nach wie vor den Kern der grünen Wählerschaft bilden.
Im selben Augenblick, da außerdem Guido Westerwelle seine FDP gegen eine mögliche "Ampel"-Koalition mit SPD und Grünen festgelegt hatte, war auch für die Grünen die letzte halbwegs realistisch scheinende Regierungsoption gestorben. Ähnlich unlogisch-verdruckst wie der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier mussten auch die Grünen-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Renate Künast so tun, als hätten sie geheime Erkenntnisse über das wahre Befinden der Liberalen, und demnach könnte es doch eine "Ampel"-Koalition geben.
Jürgen Trittin wird nun wohl den bisherigen Fraktionschef Fritz Kuhn ablösen. Für die bisherige und wohl auch künftige Ko-Fraktionschefin Renate Künast ergibt sich daraus ein Rollenwechsel. Bislang war sie neben dem Realo Kuhn im Fraktionsvorsitz die Repräsentantin des linken Parteiflügels. Da diese Funktion nun Trittin übernimmt, dürfte sie ab sofort zur Repräsentantin des Realoflügels mutieren - was ihr sicherlich überhaupt nicht schwer fallen wird.
Unter Künasts und Trittins Führung wird es eine gestärkte Fraktion nun mit einem leichter anzugreifenden Gegner zu tun bekommen. Die grünen Chef-RednerInnen verwiesen aber auch gleich schon einmal auf kommende Regierungschancen. "Wir nehmen den Kampf auf bezüglich der Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke und bezüglich der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im kommenden Jahr", rief Spitzenkandidatin Renate Künast am Sonntagabend. Die Grünen dürften im größten Bundesland auf eine rotrotgrüne Ablösung des Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers zusteuern. Parteichef Cem Özdemir schaute sogar noch weiter in die Zukunft: „2013 müssen die Grünen in die Exekutive“, rief er in die Halle.
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