Großprotest gegen Verdrängung: Die Wutmieter kommen
Bürgerinitiativen wollen mit einer Großdemonstration gegen steigende Mieten protestieren. In den Kiezen am Rande der Strecke geht die Angst vor Verdrängung um - und nicht nur dort.
Sie haben Schilder ins Schöneberger Rathaus mitgebracht, Fred Skroblin, der Anwalt, und Hannah Wiesniewski, die Bibliothekarin. Selbst ausgedruckt, DIN A4. "Gegen die Vernichtung bezahlbaren Wohnraums". "Stoppt den Bebauungsplan". Doch die Bezirkspolitiker im Parlamentssaal reden über Parkverbotszonen, Schwimmbadlifte und "Schleppkurven für Lkw". Eine Stunde, zwei, drei.
Es ist die Beschlussvorlage 1874/XVIII, auf die Skroblin und Wiesniewski warten. Die zu ihrem Haus in der Schöneberger Barbarossastraße 59/60. Ein baufälliger Fünfstöcker. Ein Investor will ihn abreißen, für einen Neubau. "Einen Luxusbau", schimpft Wiesniewski. 200 Euro warm zahle sie heute für ihre Einzimmerwohnung, sagt die zierliche Frau mit der rosa Strickweste. "Mehr hab ich nicht."
Von 107 Wohnungen seien nur noch 12 bewohnt, berichtet Skroblin, grauer Anzug, rote Krawatte. "Alle anderen haben sie erfolgreich entmietet." Neulich hätten sie aus den leeren Wohnungen die Heizkörper rausgerissen, um sie nach Polen zu verkaufen. "Das wird jetzt richtig ausgeweidet."
Die Demonstration beginnt um 14 Uhr am Hermannplatz in Neukölln und zieht von dort zum Kreuzberger Oranienplatz.
Um 21 Uhr, nach vier Stunden, ist es so weit. Vorlage 1874/XVIII. Kurze Diskussion, Abstimmung. 36 zu acht Stimmen für den neuen Bebauungsplan. Es ist das Ende der heutigen Barbarossastraße 59/60. Eine Minutensache. Fünf Jahren wohnt Skroblin im Haus, neun Jahre Wiesniewski. "War ja nicht anders zu erwarten", schüttelt Skroblin den Kopf. Aber man kämpfe weiter, juristisch.
Die Barborassastraße ist kein Einzelfall mehr. In vielen Innenstadtkiezen kämpfen Berliner gegen steigende Mieten und Kündigungen. Im Graefekiez, Chamissokiez, Schillerkiez, im Fanny-Hensel-, Reuter- und Karl-Kunger-Kiez, am Klausenerplatz, in der Lehrter Straße. An diesem Samstag wollen sich die Wutmieter zusammentun: zu einer großen Demonstration durch Neukölln und Kreuzberg. Ihr Motto: "Steigende Mieten stoppen - damit noch was zum Leben bleibt". Auftakt für eine neue Bewegung, eine Berliner Mieterbewegung?
Die Grundlagen wären gelegt: Um 8 Prozent stiegen die Mieten laut Mietspiegel seit 2009, Neuvermietungen nicht inbegriffen. Laut Statistischem Landesamt gibt der Berliner inzwischen ein Drittel seines Einkommens für Miete aus. Schon der Erfolg des Volksentscheids zu den Wasserverträgen zeigt: Wenns ans Geld geht, wandelt sich auch privater Unmut in Protest.
Dabei ist nicht neu, dass Mieter Konflikte gegen ihre Vermieter ausfechten. Neu ist, dass sich diese Konflikte in die Öffentlichkeit verlagern. Dass Nachbarschaftstreffen organisiert, Hoffeste gefeiert, Unterschriften gesammelt werden. Nicht nur in Friedrichshain oder Kreuzberg.
Neu ist auch, dass urbaner Protest nicht mehr nur Partydemos gegen Mediaspree heißt. Der Widerstand ist breiter geworden. Ernster, existenzieller. Im Graefekiez kämpfen auch Mittelschichtler gegen Kündigungen. Am Weichselplatz wehren sich Mieter gegen teure energetische Sanierung. Und in der Barbarossastraße protestieren die, die ohnehin kaum Einkommen haben.
Es ist ein unbequemer Protest. Weil er sich nicht mit dem Credo des Senats in Einklang bringen lässt, es gebe genügend Wohnraum. Weil er zeigt, wie weit selbst der "Versteher"-Bürgermeister von den Sorgen eines wachsenden Teils der Einwohner entfernt ist. "Arm, aber sexy", das war einmal. Heute heißt es: Wer Aufschwung will, muss auch steigende Mieten akzeptieren.
Jörn Schulte und Luise Horn stehen am Mittwochnachmittag an der Neuköllner Karl-Marx-Straße neben einer großen Bühne, auf der gleich Klaus Wowereit stehen soll. Ein Wahlkampfauftritt, einer von vielen in diesen Tagen. Schulte und Horn können damit nichts anfangen. Seit Monaten bereiten die beiden die Demo am Samstag mit vor. Seit Jahren engagieren sie sich politisch, stadtpolitisch. Ihre richtigen Namen wollen sie nicht sagen.
Von Friedrichshain habe sie nach Neukölln ziehen müssen, erzählt Horn, kurze Haare, Kapuzenjacke. Auch hier werde bereits ein Wertgutachten zu ihrem Haus eingeholt. Im Schillerkiez engagiert sich die 26-jährige Studentin in einer Stadtteilgruppe. Verteilt Fragebögen, wo gerade die Miete steigt. Schulte, lange, gebundene Haare, knackt Sonnenblumenkerne. "Aufwertung ist eine Kampfansage", sagt der 46-Jährige von einer Kiezinitiative in Alt-Treptow. "Jeder soll da leben können, wo er oder sie will, egal mit wie viel Kohle."
Schulte genießt es, kein einsamer Rufer mehr zu sein. Seit Jahren kultiviert die linke Szene den Kampfbegriff der Gentrifizierung: gegen eine Stadtentwicklung nach Profiten, gegen die Verdrängung Armer. Allein, bisher fanden dies kaum Widerhall außerhalb der eigenen Szene.
"Es hat sich was verschoben", sagt Luise Horn. Immer mehr Anwohner kämen in die Mietberatungen der Kiezinitiativen. Auch Rentner, Mittelschichtler. Nachbarn ihrer WG hätten kürzlich Handwerkern nicht geöffnet, als diese zu Sanierungsarbeiten anrückten. Wer alles zur Demo am Samstag komme? Horn zuckt mit den Schultern. "Das hat sich längst verselbstständigt."
Klaus Wowereit betritt die Bühne. Zwischen SPD-Luftballons ragen nun auch "Die verdammte Miete ist zu hoch"-Wimpel hervor. Wowereit zeigt auf einen: "Es gibt noch 100.000 leer stehende Wohnungen." Aber bei Ein- und Zweiraumwohnungen habe sich die Lage verschärft. "Da müssen wir gegensteuern."
Das hört man plötzlich oft. "Mieter vor Wild-West schützen", plakatiert die Linke."Bezahlbarer Wohnraum. Da müssen wir ran", heißt es bei den Grünen. Das Thema ist omnipräsent. "Weil sie merken, dass der Druck der Straße steigt", glaubt Jörn Schulte. Man verstehe sich klar als außerparlamentarische Bewegung. Die Grünen? "Unsozial, Vertreter der Besserverdiener." Die Linke? In zehn Jahren nichts für Mieter getan. "Wir vertrauen keiner Vertretung mehr." Auch juristisch schütze Mieter nur noch wenig. "Wir suchen nach Antworten jenseits des Braven und Angepassten, damit niemand aus seiner Wohnung muss." Parteifahnen sind auf der Mietendemo unerwünscht. Wer will, kann bereits beantragte Stimmzettel mitbringen. Zum Ungültigmachen.
Das Potenzial für eine größere stadtpolitische Bewegung sei da, sagt Simon Teune, Protestforscher am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Der Wohnungsmarkt sei angespannt wie lange nicht, vor allem für Einkommensschwache. Die Parteien ließen gänzlich ungeklärt, welche Rolle sozial schwächere Milieus in der Stadt spielen sollen, so Teune. "Dass die Initiativen auf außerparlamentarischen Druck setzen, ist da nur konsequent."
In der Barbarossastraße war anfangs noch Vertrauen da. Als immer mehr Kündigungen hereinflatterten, sammelte Hannah Wiesniewski 2.000 Unterschriften, organisierte ein Solifest. Fred Skroblin schrieb Briefe, traf Politiker. Am Mittwoch im Rathaus wirkt Wiesniewski aufgelöst, fahrig. Außer Linken und Grünen haben sich alle Parteien für einen Neubau, ein "attraktiveres" Haus ausgesprochen. "Die sehen gar nicht mehr den Menschen", sagt Wiesniewski.
EInmal im Monat bietet Skroblin kostenlose Rechtsberatung an, in Charlottenburg. Um Autounfälle sei es früher gegangen, erzählt der Anwalt. Seit Jahresanfang gehe es vor allem um Wohnungen. "Wenn immer mehr Leute betroffen sind, ist doch zwangsläufig, dass sie sich irgendwann gemeinsam wehren."
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