Großes Gotteshaus - kleine Gemeinde: Kirche verlangt Eintritt
Der Besuch der Lübecker Kirche St. Marien soll künftig Eintritt kosten. Das stößt selbst in Kirchenkreisen auf Kritik. Doch die Gemeinde sieht keine Alternative.
"Kirche und Geld ist ein prekäres Thema", sagt die Pfarrerin der Lübecker St. Marienkirche, und damit hat sie in mehrfacher Hinsicht recht. Prekär sind die Finanzen ihrer Gemeinde, denn die Betriebskosten für die viel besuchte hochgotische Kirche belaufen sich auf mehrere tausend Euro. Deshalb hat sich die Gemeinde entschlossen, Eintritt von den Kirchenbesuchern zu nehmen. Das wiederum hat in der Öffentlichkeit zu sehr kritischen Reaktionen geführt, auch der Schleswiger Bischof Gerhard Ulrich zeigte sich skeptisch. Nun wird ab März 2010 ein so genannter Marientaler verlangt.
Die Einwände stoßen bei Pfarrerin von Kortzfleisch auf Unverständnis: "Wir legen mit dem Marientaler auch einen Finger in die Wunde", sagt sie. "Wir fragen: ,Was ist Dir dieser köstliche Bau wert' - und dann bekommen die Leute Schnappatmung". Ursprünglich hatte die Gemeinde versucht, über Informationstafeln zum Spenden zu bewegen. Doch derzeit spendet jeder Besucher durchschnittlich gerade mal 0,097 Cent. Deshalb entschied man sich im Juni diesen Jahres, in einer Pilotphase von Besuchergruppen zwei Euro Eintritt pro Person zu verlangen. Schulklassen zahlten pauschal zehn Euro.
Die Regelung hat sich jedoch nicht bewährt: Nicht jede Gruppe wusste, ob und was sie zahlen sollte; einzelne Gruppen verstanden sich beim Eintritt plötzlich nicht mehr als Gruppe. Deshalb hält die Gemeinde am Eintritt fest, verlangt aber nicht mehr Gruppeneintritt, sondern zwei Euro pro Erwachsenem.
Die Lübecker Innenstadtkirche St. Marien ist mit rund 1.000.000 Gästen eine der meist besuchten Kirchen in Deutschland. Sie gehört mit der Altstadt zum Unesco-Weltkulturerbe.
Eintritt: Ab März 2010 wird die Gemeinde Eintritt, den so genannten Marientaler, verlangen, um den Unterhalt des Baus zu finanzieren. Jeder erwachsene Besucher zahlt zwei Euro. Studenten, Hartz-IV-Empfänger, Arbeitslose, Behinderte und geführte Gruppen ab zehn Personen zahlen 1,50 Euro. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, Gemeindemitglieder sowie Betende zahlen keinen Eintritt.
Der Berliner Dom ist die einzige andere Kirche in Deutschland, für die Eintritt verlangt wird.
Mit dem Verzicht auf Eintritt für Jugendliche reagiert man auf einen der Hauptkritikpunkte. "Es war, als würden wir Kinder schlachten", sagt Pfarrerin von Kortzfleisch, die nach wie vor davon überzeugt ist, dass auch bei Jugendlichen ein Eintritt sinnvoll wäre: "Ich finde es richtig, wenn auch Schulklassen merken, dass ein Bauwerk eben nicht nicht einfach so dasteht." Sie macht eine gedankliche Lücke bei den Kritikern aus: "Die Kirchen werden von Menschen gemacht - aber sie sollen nichts kosten."
Keinen Eintritt zahlen Gemeindemitglieder sowie Menschen, die beten oder eine Kerze anzünden möchten. "Das Knifflige liegt dann bei der Person, die das äußern muss", sagt die Pfarrerin. Nach jetzigem Stand ist der Jahreshaushalt der Gemeinde durch den Eintritt um zehn Prozent gewachsen. Die Kirchensteuer deckt 17 Prozent des Haushalts, 83 Prozent muss die Gemeinde selbst aufbringen. Zwischen 2010 und 2013 muss der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg wegen sinkender Kirchensteuereinnahmen zudem 3 Millionen Euro einsparen.
Von Hamburger Seite hatte man die Lübecker zu mehr Phantasie beim Einwerben von Spenden aufgefordert. "Die Gemeinde ist in den letzten Jahren nicht durch besonderes Engagement dabei aufgefallen", sagt der Sprecher der Hamburger Bischöfin Maria Jepsen. Dort verlangt keine der Hauptkirchen Eintritt - der, so sagt es der Sprecher, die Spendenbereitschaft deutlich senke. Im Michel sind allerdings Turmbesteigung und Kryptabesichtigung kostenpflichtig, in St. Petri war die große Bannerwerbung für H & M an der Außenfassade durchaus umstritten.
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