Große Waffensammlung in den Schulen: Erste Stunde: Waffenkunde
Die Berliner Polizei ruft zum Aktionstag "waffenfreie Schule" auf: Jugendliche sollen Messer und Pistolen bei den Lehrern abgeben. Die finden die Idee überhaupt nicht gut.
Schüler, die bis an die Zähne bewaffnet mit Messern und Pistolen in die Schulen stürmen - für Lehrer eine Horrorvorstellung. Anders für die Polizei: Unter dem Motto "Waffenfreie Schule" ruft sie am heutigen Dienstag dazu auf, die Waffen mit in die Schulen zu bringen. Lehrer sollen sie dann einsammeln. Der Anreiz sei, dass der Waffenbesitz sanktionsfrei bleibt, so die Polizei. Die Begeisterung der Schulleiter hält sich in Grenzen. "So ein Blödsinn, daran beteiligen wir uns nicht", sagen die einen. "Gut gemeint, aber weltfremd", sagen andere. Auch der Pressesprecher der GEW, Peter Sinram, findet die Idee "völlig lächerlich".
Wie viele Schulen sich beteiligen werden, vermochte die Polizei am Montag nicht zu sagen. Die Präventionsbeamten hätten Kontakt mit den Schulen aufgenommen. Falls gewünscht, begäben sich die Beamte in die Schulen, um die Waffen einzusammeln. Ein Sprecher von Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD) betonte, die Polizei sei für die Aktion zuständig, die Verwaltung habe die Schulen lediglich informiert.
Die taz befragte mehr als zehn Schulleiter und -leiterinnen. Alle erklärten, sie würden sich nicht an der Aktion beteiligen. "Wenn ein Schüler eine Waffe hat, bringt er sie doch nicht bei mir vorbei", sagte ein Direktor. "Soll man eine Art Babyklappe installieren, wo der Schüler die Waffen reinwirft, damit er nicht erkannt wird?", fragte eine Schulleiterin. Sie sei froh, dass es weder Gewalt noch Waffen an ihrer Schule gebe. "Einerseits sagen wir, wir wollen keine Waffen in der Schule, und dann fordern wir die Schüler auf, welche mitzubringen, das ist doch absurd", pflichtet eine Kollegin bei. Wenn, dann sollten die Waffen sofort beim Polizeiabschnitt abgegeben werden.
Polizeipräsident Dieter Glietsch hatte die Aktion im Innenausschuss unlängst als Werbeaktion für die allgemeine Waffenamnestieregelung verteidigt, die Ende des Jahres ausläuft. Bis dahin können Bürger bei der Polizei straffrei illegale Waffen abgeben. "Jede vernichtete Waffe ist eine gute Waffe", verwahrte sich Glietsch gegen die Kritik aus den Schulen.
Aber auch innerhalb der Polizei gibt es Stimmen, die das Vorgehen als realitätsfern bezeichnen. Schulen, die Gewaltprobleme hätten, würden ohnehin in ständigem Kontakt mit den Präventionsbeauftragten des zuständigen Polizeiabschnitts stehen, sagt ein Beamter. "Wenn einem Schüler eine Waffe abgenommen wird, kommt ein Polizist vorbei und holt sie ab." Außerdem gebe es an den Schulen regelmäßige Präventionsveranstaltungen. "Es ist doch nicht so, dass der Schulleiter vor dem Sekretariat eine Kiste aufstellt oder der Lehrer im Unterricht sagt: Ich gebe jetzt einen Karton herum. Alle machen mal die Augen zu und werfen ihre Butterflymesser und Schlagwaffen rein."
Auch Schüler halten die Aktion für unsinnig: "Klar gibt es Leute, die Waffen in die Schule mitbringen", sagt ein 16-Jähriger vor der Carl-Friedrich-Zelter-Oberschule in Kreuzberg. "Aber das würde keiner selbst zugeben." Von dem Aktionstag weiß er nichts. Der sei auch zwecklos: "Da würde eh keiner was abgeben. Warum auch?" Ein 17-Jähriger von der Neuköllner Carl-von-Ossietzky-Oberschule bestätigt das: "Selbst wenn jemand eine illegale Waffe hätte, würde er sie nicht hergeben. Allein schon aus Stolz, so etwas zu besitzen." An seiner Schule gebe es aber kein Waffenproblem. "Höchstens illegale Silvesterknaller". Ein 18-Jähriger an derselben Schule will gehört haben, dass einem Schüler einmal vor den Augen des Direktors ein Butterflymesser aus der Tasche gefallen sei. "Der ist direkt von der Schule geflogen."
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