: Große Verschwendung
Ein bisschen Komödie, ein bisschen Kitsch und viele Hiebe auf die emanzipatorischen Projekte der Vergangenheit: Oskar Roehler hat aus Michel Houellebecqs Roman „Elementarteilchen“ ein pathetisch verlängertes Pubertätsdrama gemacht
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Wie Bruno, das kleine Arschloch aus Oskar Roehlers Verfilmung der „Elementarteilchen“, schleicht dieser Film sich an: immer etwas zu intim steht er mit seinen sexuellen Nöten in der Tür, bevor man überhaupt Hallo sagen konnte. Ein bisschen schleimig und kumpelhaft ist der Film in seinen Witzen; etwas ausgerastet im Blick auf das Leben im Allgemeinen und gewaltig Mitleid heischend, was das Schicksal der armen Männer angeht. Die Frauen im Leben von Bruno und seinem Bruder Michel sind entweder gemein oder sterbenskrank. Großmütter- und Mütter-Leichen geben zudem prima Vorlagen für kleine Slapstick-Nummern ab.
Eine der Frauen aber darf sogar über ihren Tod hinaus auftreten und als Geist erscheinen, um Bruno zu trösten und von seiner Einsamkeit zu erlösen. Oskar Roehler, der Drehbuchautor und Regisseur, glaubt mit dieser Abweichung von dem Roman von Michel Houellebecq den kaltschnäuzigen Zynismus der Vorlage abgemildert und etwas mehr Seele in den Stoff hineingetragen zu haben. Na, schönen Dank auch, für diese Heiligsprechung der liebenden Frau nach ihrem Tod. Früh sterben, um dann verehrt zu werden, war schon immer ein klasse Rollenvorbild und wird im Kontext des Gelächters über die sexuellen Bedürfnisse alternder Frauen nicht gerade besser.
Grrrr. Warum, um Himmels Willen, macht mich gerade das so wütend. Steht dahinter etwa das Verlangen, in dieser Komödie doch noch eine Nische der Identifikation zu finden? Oder ist es der vorhersehbare Erfolg einer mittelmäßigen Literaturverfilmung, die mit dem Ruch des radikalen Gefühlskinos von ihrer Mittelmäßigkeit ablenkt?
Der prompte Kinostart der „Elementarteilchen“ nach der Berlinale hat etwas vom Weitertrinkenmüssen nach dem großen Kater. Der Film gehört zu den Gewinnern der Berliner Filmfestspiele, nicht nur weil Moritz Bleibtreu für seine Rolle des Spanners Bruno einen Silbernen Bären bekommen hat, sondern mehr noch, weil er der Verkaufsschlager unter den deutschen Filmen der Berlinale ist: Interessierte Käufer aus 23 Ländern haben sich schon gemeldet. Schon der Trailer der Bernd-Eichinger-Produktion verspricht eine Starparade des deutschen Kinos, mit Moritz Bleibtreu, Christian Ulmen, Michael Gwisdeck, Uwe Ochsenknecht, Nina Hoss, Franka Potente, Martina Gedeck, Corinna Harfouch, Jasmin Tabatabai. Man fragt sich bei der Vorschau, wie die denn alle Platz haben in einer Erzählung von 105 Minuten. Und fühlt sich dann auch ein wenig verarscht, wenn Corinna Harfouch ein paar Mal verständnisvoll nicken darf als Brunos Analytikerin. Wie, das war’s mit dieser Rolle?, fragt man sich verblüfft. Was für eine Verschwendung, um sich mit großmäuligem Einsatz über die dürftige Erzähltechnik wegzumogeln.
Denn über weite Strecken ist der Film eine bloße Illustration, ein Reigen kurzer Rückblenden, der dort, wo der Roman seinen bösen Blick auf die Zeitreise durch die Vergangenheit schickt, anekdotisch bebildert. Auch das Zukunftsszenario, das der Roman über Brunos Bruder Michel in Aussicht stellt und in dem die Schwierigkeiten menschlicher Beziehungen und der Sexualität vermieden und durch das Klonen ersetzt werden, wird zwar in einigen Szenen angedeutet, beeinflusst aber nicht die Erzählperspektive. Der Roman schlägt seine Funken aus der eigenen Widersprüchlichkeit: Die Botschaft, die er am Ende verkündet, der Abgesang auf alle Konzepte von Individualität und Freiheit, widerspricht genau den Erwartungen, mit denen er einen beim Lesen hält. Nicht zuletzt die Lüsternheit ist ein Motiv für die Lektüre, der skurril verpackte Umgang mit dem Pornografischen. Für diese doppelbödigen Strategien des Erzählens findet der Film keine Entsprechungen.
Dass man mit dem Stoff des Houellebecq’schen Romans auch anders umgehen kann, zeigte vor zwei Jahren eine Inszenierung von Johan Simons im Schauspielhaus Zürich. Simons legte die Konstruiertheit der Figuren frei, die Bestimmung ihres Schicksals zum Beweis einer These. Doch indem er sie wie Spielfiguren auf einem Brett aufstellte, gab er ihnen zugleich eine andere Dimension von Mitgefühl zurück. Je mehr sie von ihrem Verlangen nach Nähe redeten, desto bedrückender nahm die Distanz zwischen ihnen fast physische Präsenz an. Gerade durch das Spröde und formal Strenge der Inszenierung fand eine Übersetzung statt, in der sowohl die diskursive Ebene des Romans aufgehoben war wie auch die den philosophischen Anspruch immer unterlaufende Körperlichkeit.
Von diesen Schizophrenien des Romans bleibt in der Verfilmung nicht viel. Nur die emotionale Gemengelage der Gefühle, das gleichzeitige Angezogen- und Abgestoßenwerden von den Figuren und ihren Bedürfnissen, transportiert der Film, nicht die intellektuellen Konflikte, nicht das Kokettieren mit einem Wettrennen zwischen Kunst und Pornografie. Von seinem gesellschaftskritischen Potenzial sind nur die Hiebe auf Bewegungen der Vergangenheit, Hippietum, Emanzipation der Frauen und Geist der 68er übrig geblieben, aber nicht das keineswegs beruhigendere Protokoll des Zynismus der Gegenwart.
Nun muss man eine Romanverfilmung nicht ständig am Roman messen, wenn sie denn ihre eigene Bildsprache findet und ihre eigene Geschichte gut erzählt. Zieht man aber den Erwartungshorizont der Vorlage von den „Elementarteilchen“ ab, dann bleibt nur noch etwas Komödie und etwas Kitsch übrig, ein pathetisch verlängertes Drama der Pubertät, von dem man nicht recht weiß, warum es in der Liga interessanter neuer Filme überhaupt diskutiert werden soll.
„Elementarteilchen“, Regie Oskar Roehler. Mit Moritz Bleibtreu, Franka Potente, Martina Gedeck u. a., Deutschland 2005, 105 Min.