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Archiv-Artikel

Große Demos, schiefe Slogans

Und jetzt noch mal alle „Tod Amerika“ rufen, schließlich ist das iranische Fernsehen auch dabei. Viele Ambivalenzen prägen diese kriegerischen und friedensbewegten Zeiten

Vor ein paar Tagen wurde ich wie jeden Monat von dem Weimarer Alternativradio „Lotte“ als Hauptstadtreporter interviewt. Es ging diesmal um hauptstädtische Friedensaktivitäten. Dass ich „Imagine“ furchtbar fand, fand der Interviewer wohl friedensfeindlich. Anders als üblich redete er jedenfalls nach dem Interview nicht mehr mit mir.

Vieles ist ambivalent dieser Tage. Wenn PDSler etwa ein „Ausreiseverbot“ für Angela Merkel fordern. „Ausreiseverbote“ gab es früher für DDR-Oppositionelle. Und dass es natürlich angenehmer ist, auf einer Antikriegsdemo zu sein, als zu Hause Fernsehen zu gucken, aber auch unangenehm, neben Parolen zu laufen, die man nicht teilt.

Die Berliner Großdemonstration vom Samstag wurde von „linksruck“-Parolen bestimmt. Das linke Netzwerk hatte massenhaft Demoschilder für drei Euro verkauft und auch einen Lautsprecherwagen dabei. Ein Mann auf dem Lautsprecherwagen rief die seit mehr als 20 Jahren üblichen Slogans, in denen es darum geht, dass die Amis und ihre Vasallen für alles Unglück dieser Welt verantwortlich wären: „USA – Internationale Völkermordzentrale“ usw. Im Fußvolk mühten sich disziplinierte Genossen, die Parolen durchzusetzen. Der Megafonsprecher rief „Bush“, „Blair“ oder „Aznar“ – die Menge antwortete „Terrorist“. Saddam als Terrorist fehlte natürlich. Und der Slogan „Scharon – Terrorist“ kam nicht ganz so gut an wie die anderen.

Vertreter verschiedener internationaler Friedensbewegungen sprachen dann ihre jeweiligen Parolen, die das Publikum nachsprach. Die Übersetzung des Slogans einer Iranerin folgte erst, nachdem ihre Parole von einigen nachgesprochen worden war. „Tod Amerika“. Und jetzt noch einmal, weil das iranische Fernsehen auch dabei ist.

Später sprach eine Frau auf der Bühne von „hunderttausend zivilen Opfern“ in der irakischen Bevölkerung. Dass Ben Bella sich bei „Deutschland“ bedankte, wurde nicht übersetzt. Man hat das Gefühl, dass gerade die Großdemos von Slogans geprägt werden, die die Mehrheit der Demonstranten nicht teilen. „linksruck“ ist mit der britischen, trotzkistischen Organisation „Socialist Worker“ verbandelt, die auf den Londoner Demos präsent ist. Die importierten „Not in my name“-Plakate sind mittlerweile wegen offensichtlicher Missverständlichkeit aber schon wieder verschwunden.

Auf der Website von „linksruck“ heißt es erfreut: „Unsere Slogans ,George Bush – Terrorist‘ und ,Fischer, Schröder Nein heißt Nein – Luftraum sperren, das muss sein‘ setzten sich durch.“ Außerdem, so auf der Hompeage weiter, finde die Antikriegsbewegung „vor dem Hintergrund der antikapitalistischen Bewegung und dem Vertrauensverlust in das kapitalistische System“ statt.

Den wahren Revolutionären gilt „linksruck“ wegen der Strategie des „Entrismus“ (in die SPD eintreten etc.) als rechtsreformistisch, andere werfen dem linken Netzwerk vor, sich superradikal zu gebärden. Noch so eine Ambivalenz. Im Verfassungsschutzbericht des Landes Niedersachsen heißt es, „linksruck“ trete für antiimperialistische Bündnisse mit islamistischen Gruppen ein. DETLEF KUHLBRODT