Großbrittanien: Lockerbie-Fall wieder vor dem Richter
Heute verhandelt das Oberste Gericht im schottischen Edinburgh über die Neuverhandlung des Falls des Lockerbie-Attentäters Abdelbaset Ali Mohammed al-Megrahi.
Eigentlich war der Fall längst abgehakt, der Schuldige sitzt hinter Gittern. Doch knapp 20 Jahre nach dem Bombenanschlag auf ein Flugzeug über dem schottischen Lockerbie ist der Fall wieder in den Schlagzeilen. Am 21. Dezember 1988 war eine Boeing 747 mit 243 Passagieren aus 21 Ländern und 16 Besatzungsmitgliedern auf dem Weg von London-Heathrow nach New York in der Luft explodiert. Außer den Flugzeuginsassen starben elf Menschen in Lockerbie durch herabstürzende Trümmer.
Die schottische Berufungskommission muss heute entscheiden, ob sie den Fall wieder aufrollt. Es wird ihr gar nichts anderes übrig bleiben, denn es sind neue Beweise aufgetaucht, die für die Unschuld des libyschen Geheimdienstmitarbeiters Abdelbaset Ali Mohammed al-Megrahi sprechen. Al-Megrahi war 2001 für den Anschlag zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Ein schottischer Polizeibeamter, der damals an dem Fall gearbeitet hat, beschuldigt seine Kollegen, Beweise gegen den Libyer gefälscht und Indizien erfunden zu haben. "Golfer", so lautet der Codename des Polizisten, ist inzwischen pensioniert. Er sagt, von der Bombe angeblich zerfetzte Kleidungsstücke, Teile einer Zeitschaltuhr sowie eine Gebrauchsanweisung für einen Kassettenrekorder seien nachträglich manipuliert worden. Die Behauptungen des ehemaligen Beamten wurden von verschiedener Seite bestätigt. So waren die vermeintlich verkohlten Überreste eines Baby-Strampelanzuges, der angeblich um die Bombe gewickelt war, sowie eine Gebrauchsanweisung für den Kassettenrekorder, der die Bombe enthielt, nach Aussage der Zeugen, die die Gegenstände fanden, intakt geborgen worden. Auch ein Hemd, auf dem die Polizei angeblich Bruchstücke eines Zeitschalters der Schweizer Firma MeBo gefunden hatte, wurde offensichtlich manipuliert.
Auch die Aussage des Hauptzeugen der Anklage, des maltesischen Kaufmanns Tony Gauci, ist vor dem Prozess offenbar verändert worden. In seinem Laden waren die betreffenden Kleidungsstücke gekauft worden. Doch als man Gauci Fotos des Beschuldigten zeigte, erkannte er ihn nicht. Stattdessen identifizierte er Mohammed Abu Talb, einen ägyptischen Terroristen, der enge Verbindungen zur Popular Front for the Liberation of Palestine - General Command (PFLP-GC) hatte, die vom Iran unterstützt wurde. Talb war wegen eines Anschlags auf ein dänisches Büro einer Fluglinie in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Beim Lockerbie-Prozess tauchte er als Zeuge der Anklage auf und bekam dafür Straffreiheit. Die CIA hat festgestellt, dass nach dem Lockerbie-Anschlag hohe Summen aus dem Iran auf seinem deutschen Konto eingegangen sind.
Die Entscheidung, Beweise zu manipulieren und zu erfinden, sei von hochrangigen Ermittlern und Justizbeamten getroffen worden, um eine Verurteilung zu sichern, so Golfer. Es sei eine politische Entscheidung gewesen. Man wollte Talb nicht verurteilen, weil man die Beziehungen zum Iran während des ersten Golfkriegs nicht ruinieren wollte. Deshalb erging der Befehl an die Polizei, sich auf al-Megrahi zu konzentrieren.
Golfer sagt außerdem, dass ein US-amerikanischer Pass auf den Namen Khaled Jafaar in den Trümmern gefunden worden sei. Der soll in einen von der CIA geduldeten Drogenschmuggelring verwickelt gewesen sein. Die Polizei vermutete, dass er die Bombe unwissentlich ins Flugzeug geschmuggelt habe, weil er annahm, der Koffer enthielt Drogen. Sollte es zu einem neuen Prozess kommen, wird die Frage zu klären sein, wer die Fälschung der Beweise angeordnet hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!