Großbritannien: Laborvirus verursacht Seuchenausbruch
Maul- und Klauenseuche in England: Der Erreger stammt aus einem Forschungslabor. Doch wie kam das Virus auf den Bauernhof?
Wer in Großbritannien Bauer ist, benötigt ein dickes Fell. Gerade hatte man gehofft, dass nach den Überschwemmungen im Juni und Juli die verspätete Heuernte beginnen könne, da kommt eine neue Hiobsbotschaft: In der südenglischen Grafschaft Surrey ist die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen.
Die Regierung hat sämtliche Tiertransporte untersagt, der Export von Tierprodukten wurde gestoppt, Bauernmärkte und Landwirtschaftsausstellungen sind abgesagt. Dadurch, so hofft man, werde sich die Seuche nicht so schnell ausbreiten wie vor sechs Jahren. Damals, im Jahr 2001, grassierte sie elf Monate lang. Landauf, landab brannten die Scheiterhaufen mit getöteten Tieren. Insgesamt wurden zwischen sechs und zehn Millionen Rinder, Schweine und Schafe gekeult, obwohl die Krankheit nur bei 2030 Tieren nachgewiesen wurde. Der Schaden für die britische Wirtschaft betrug 8,5 Milliarden Pfund.
Wo die Seuche damals ausgebrochen war, weiß man bis heute nicht. Der Wissenschaftler Harash Narang vermutete, dass der Erreger aus dem staatlichen Institute for Animal Health in Pirbright entfleucht war, aber nachzuweisen war das nicht. Diesmal ist man sich dagegen sicher, dass der Erreger aus Pirbright stammt.
Wissenschaftler haben ihn am Samstag identifiziert: Es ist der Typ 01 BFS67, der in der Natur nicht vorkommt - aber im Labor. Und zwar im Labor des privaten Pharmaunternehmens Merial Animal Health, das in Pirbright auf demselben Gelände wie das staatliche Institut angesiedelt ist, nur rund vier Kilometer Luftlinie von der Woolfords Farm entfernt, wo die Seuche am Donnerstagabend identifiziert wurde. 64 Tiere wurden getötet, auf einem benachbarten Hof keulte man die Herde als Vorsichtsmaßnahme.
Merial hat vorerst die Arbeit eingestellt. Die Firma entstand 1997 durch die Fusion der Abteilungen für Tiergesundheit von Merck und Rhone Merieux. Letzteres Unternehmen hatte den ersten Impfstoff gegen die Maul- und Klauenseuche entwickelt. Merial gehört zu den zehn größten Pharmaunternehmen in diesem Bereich mit weltweit 5.000 Angestellten in 150 Ländern. Voriges Jahr betrug der Umsatz rund 2,2 Milliarden Dollar. Merial produziert unter anderem im Auftrag der Europäischen Union jedes Jahr 300 Millionen Ampullen Impfstoffe für Schweine, Rinder, Katzen und Hunde sowie 50 Milliarden Ampullen gegen Vogelgrippe.
Und vor knapp drei Wochen, am 17. Juli, stellte das Unternehmen den Impfstoff mit dem Erreger 01 BFS67 her. Wie aber ist er aus dem Labor zum Bauernhof gelangt? Sowohl Merial als auch das staatliche Institut sind wie Hochsicherheitstrakte angelegt. Man muss mehrere Schleusen passieren, um hinein- oder hinauszugelangen. So ist die Vermutung, dass das Virus durch die Belüftungsanlage entwichen oder an der Kleidung eines Angestellten versehentlich hinaustransportiert worden sei, eher abwegig. Der Observer mutmaßte, dass die Rinder, an denen der aktive Impfstoff getestet wurde, im Freien geweidet hätten und das Virus durch den Wind weitergetragen worden sei. Das wäre höchst fahrlässig.
Die Chefveterinärin der Regierung, Debby Reynolds, hat eine Untersuchung eingeleitet. Die Woolfords Farm ist abgeriegelt, eine zehn Kilometer breite Zone wurde zum Überwachungsgebiet erklärt, der Luftraum über dem Hof ist gesperrt. Premierminister Gordon Brown hat seinen Urlaub abgebrochen, Oppositionsführer David Cameron hat seine Abreise in die Bretagne auf unbestimmte Zeit verschoben. In London hat der Cobra-Sonderausschuss, der zuletzt wegen der Terrorismusgefahr einberufen wurde, am Wochenende zweimal unter Browns Leitung getagt.
"Ich will alles in meiner Macht Stehende tun, um sofort an die wissenschaftlichen Ergebnisse zu kommen", sagte Brown. "Wir müssen die Quelle der Seuche einwandfrei identifizieren, wir werden einige Untersuchungen einleiten, sodass wir innerhalb von Stunden oder Tagen wissen, was passiert ist, damit wir diese Seuche in Großbritannien ausmerzen können."
Dass der Erreger offenbar aus dem Labor stammt, ist für Großbritanniens Bauern ein Hoffnungsschimmer. Möglicherweise ist er weniger aggressiv und verbreitet sich nicht so rasant wie das Virus vor sechs Jahren. Neben der Londoner Regierung hat jedoch auch die EU den Export von britischen Tieren und Tierprodukten am Wochenende verboten. Rinder dürfen ohnehin erst seit Mai vorigen Jahres wieder exportiert werden, nachdem das Embargo wegen des Rinderwahnsinns nach zehn Jahren aufgehoben wurde.
Richard MacDonald, der Generaldirektor des Bauernverbands, sagte, es waren "niederschmetternde 24 Stunden" für britische Viehzüchter. "Wir nehmen das alles natürlich sehr ernst", sagte er. "Unsere Priorität ist es, diese Situation so schnell und effektiv wie möglich hinter uns zu bringen." Die Regierung überlegt, wie bereits 2001, ob Impfungen sinnvoll seien. Sie sind damals am Widerstand der Lebensmittelindustrie und der Großbauern gescheitert, weil Großbritannien sonst den seuchenfreien Status für mindestens ein Jahr verloren hätte. Ohne zu impfen, konnte man hingegen schon drei Monate nach Auftreten des letzten Krankheitsfalls wieder exportieren.
So hoffen die Bauern, dass der Mikrobiologe Hugh Pennington recht behält. "Wenn wir genau wissen, dass das Virus aus einem Impfstoff stammt, ist es weniger wahrscheinlich, dass es ein schlimmes Virus ist", sagte er. "Das Virus wird es nicht bis nach Schottland oder Wales oder Cumbria schaffen. Es ist ein lokales Problem."
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