Zwischen den Rillen: Groovy Eckladen
■ 6ths, flying saucer attack, Cornershop
Manchmal gibt's auch das noch: Platten, die haarscharf an allem vorbeischrammen, was die Kleinwarenhandlung „alternativer Rock/Pop“ gerade in den Regalen stehen hat – und trotzdem (oder gerade deswegen) den zartpoetischen, bei näherem Hinhören überlebensgroßen Popsong enthalten. „Wasps' Nests“ von einer Band, besser: einem Band- und Musikprojekt namens The 6ths ist so ein Album. Der hierzulande mäßig bekannte Steve Merrit – der allerdings in den Staaten als großer Schreiber gehandelt wird und dort mit seiner Gruppe Magnetic Fields zwei tollspinnnerte Alben aufgenommen hat – hat sich dafür Prominenz aus der Low-Fi- und Underground- Popszene ins Studio geholt: lauter halbverblichene Größen verblichener Bands der vergangenen zehn Jahre. Es singt unter anderem Robert Scott (ehemals The Bats und The Clean), da taucht Dean Wareham auf (ehemals Luna und Galaxie 500), oder Mitch Easter (ehemals Let's Active und Produzent von Game Theory), Meister etwas weltfremder Songschönheiten, kommerziell natürlich komplett unattraktiv, wie überhaupt ein Album wie „Wasps's Nests“ nur noch als loses Studio-Band-Kollektiv zu funktionieren scheint.
Natürlich erinnert die Herangehensweise an Mike Watt und sein All-Starprojekt – nur daß hier Charisma und Eigenheiten der Beteiligten hinter der sehr verspielten Musik verschwinden und Männlein wie Weiblein eine einzige gleichtönende Stimme zu besitzen scheinen. Mannschaftsdienlich nannte man das früher, und auch heute noch kann so ein Album schlimmste Hörkrisen überdauern helfen. Stephen Merrits Songs reichen natürlich nie für irgendwelche Music Awards, nicht für schlaue Poptheoremkonstruktionen, vielleicht nicht mal für den „Guide To Alternative Music“, jedoch allemal für geheimbündlerisches Gutfinden bei gleichem Gesinnungsniveau. Aber aus sowas entstehen bekanntlich Freundschaften fürs Leben.
Auch mehr projektmäßig gestaltet sich eine britische Band namens flying saucer attack. Auf das Herausstreichen von Namen oder Charakterköpfen verzichten sie auf ihren Alben völlig, auch jeder Wortballast ist abgeworfen. Was an Covergestaltung bleibt, sind postapokalyptische Mondlandschaften und sehnsüchtig lonermäßige Naturbildchen, die dem Betrachter wie von Postern entgegendräuen. Esosensitiv auch die Titel: „Rainstorm Blues“, „In The Light Of Time“, „Oceans“ oder „For Silence“. „Further“, das zweite Album (wenn man die Singles-Compilation „distance“ mal außen vor läßt), ist Abtauchen und Wegdriften in Soundscapes, für die in der Tat weder Bandstruktur noch andere Identifiktionsfixpunkte geschaffen scheinen. Flying saucer attack transportieren bloß Effekte und Klänge aus Techno- Trance- und Ambientmusiken in Bezirke, wo sonst Heimarbeit, auch die Akustikgitarre und natürlich endlose Feedbacks ihren angestammten Platz haben. Ein herzbewegendes Melodiechen darf sich in die so geöffneten Räume schon mal einschleichen. „Hometaping is reinventing music“, leitsprüchlern sie frech, denn Bands, wie die nicht mehr sehr neuen My bloody Valentine, sind nie besonders weit, und ob das ewige Abarbeiten an „Krautrock“, das zur Zeit wieder Konjunktur hat, vor dem Gott der Popgeschichte belohnt werden wird, ist auch nicht raus.
Weit weg vom gerade eine zweite Hypewelle reitenden Brit-Pop befinden sich auch Cornershop, deren „Womans's gotta have it“ wie der Soundtrack zu einem Film klingt, den Hanif Kureishi und Richard Linklater zusammen produziert haben könnten. Im üblichen Kontext von Gitarre, Bass und Drums ordnen Cornershop ihre indisch-pakistanischen Gesänge und Geräusche zu Gebilden mit mehreren Symmetrieachsen, ohne dabei einem platten Multikulturalismus die Musik zu spielen. Dafür klingt das alles zu konsequent inkonsequent, zu filigran im Bruch, andererseits aber auch zu vermüllt. Sozialarbeiterseelen muß schon das mehrfach gewendete Spiel mit südostasiatschen Rollenzuschreibungen (essen Tandoori Chicken, haben's mit Gewürzen) im Verhältnis zur Situation in England auffallen, etwa wenn Cornershop eine EP namens „In The Days Of Ford Cortina“ auf curryfarbenem Vinyl rausbringen oder Sprüche wie „It smells like curry and it's hot“ mit in den Topf schmeißen. Und die Musik? „Born disco died heavy metal“ hieß exemplarisch ein klasse wegweisender Song auf ihrer letzten Platte: der groovy Eckladen mit allem, was man für's Wochenende braucht, an dem bloß das schläfrige Auswalzen mancher Themen auf bis zu zehn Minuten nervt. Gerrit Bartels
The 6ths: Wasps' Nests
(London/Metronome)
flying saucer attack: further
(domino/Rough Trade)
Cornershop: Women's gotta have it (wiija/Rough Trade)
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