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Archiv-Artikel

Grollen und Schlingern

Sein System kennt keine Grenzen: Die Kunsthalle Wilhelmshaven präsentiert die punkrockigen Antithesen des niederländischen Künstlers Rik van Iersel

Vor kurzem ist beim Münchner Label Trikont der Soundtrack des 20. Jahrhunderts erschienen. Wie der klingt? Scharfkantig, nervös, hektisch, düster, hart. Diese Musik ist nicht neu, ganz im Gegenteil. England‘s Dreaming. 25 Tracks before, during and after Punk, die Zusammenstellung des englischen Autors Jon Savage, ist ein historisches Dokument über die Punkbewegung. Eines von vielen, doch ein besonders gelungenes.

Der englische Traum der späten siebziger Jahre war auch eine Kampfansage an eine überkommen geglaubte Ästhetik. Punk war Destruktionskunst im besten Sinn: Der Mensch, der etwas über den Haufen schmeißt, macht Platz für Neues. Die Kunst des Niederländers Rik van Iersels – die nun unter dem Titel „Transparencies“ in einer großen Ausstellung in der Kunsthalle Wilhelmshaven zu sehen ist – ist so sehr Punk, dass man fast dieselben Worte dafür benutzen kann. Man könnte sie beschreiben wie einen Song von The Fall, die englische Band um den Exzentriker Mark E. Smith, nach deren Album The 27 Points Rik van Iersel einmal eine Schau in der Hamburger Galerie Borchardt benannte: dunkel, grollend, splitternd, schlingernd.

Wer die flache Architektur der 1968 gebauten Kunsthalle betritt, merkt bereits: Wenn von Rik van Iersels Kunst die Rede ist, meint das: ein work in progress aus Collagen, Gouachen, Karikaturen, Kritzeleien, Zeichnungen, Skizzen, Installationen, Musik, Videoarbeiten, großen Arbeiten auf Leinwand oder Transparentfolie. Ein aus dem Atelier gezerrter Wust, der aus Filzstiften, Wasserfarben, Ölfarben, DVDs, aus Instrumenten und Videos fließt.

Van Iersels System kennt keine Grenzen: Film- und Videoprojektionen eigener kleiner Trickfilme gehören ebenso zu van Iersels Kunst wie die eigene Musik, die er im Rahmen von Festivals und Ausstellungseröffnungen spielt. So entsteht auf etwa 300 Quadratmetern ein all over aus Filmbildern, Malerei, Zeichnung, Tönen und Klängen.

Van Iersels Idee ist das Gesamtkunstwerk. Oder besser: Die punkrockige Antithese dazu. Alles ist zu sehen – und vieles ist vor Ort entstanden: Kleinteiliges und große Arbeiten, Figuratives und Abstraktes verschmelzen, eine Multimedia-Präsentation verquickt Gemälde mit transparenten, projizierten, bewegten Bildern und Musik.

Bereits mit den Ausstellungen der plastischen Fotografie von Ralf Peters und „Strenges Holz“ mit Arbeiten von Heiner Szamida, Helga Weihs und Jan de Weryha betonte die Kunsthalle ihren Anspruch, zeitgenössische Kunst zu zeigen. Mit Rik van Iersel ist nun ein Künstler zu Gast, der noch spontaner vorgeht – und sich nicht scheut, ein Werk zu zeigen, das oft unfertig wirkt: Die Kunsthalle ist zu einem Atelier geworden. Marc Peschke

Mi–So 11–17, Di bis 20 Uhr, Kunsthalle Wilhelmshaven; bis 28.11.