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Größter Giftgaseinsatz seit Weltkrieg II

■ Der irakische C–Waffen Angriff auf Halabja war bisheriger Höhepunkt im Terror gegen kurdische Zivilisten

Der fürchterlichste Einsatz chemischer Waffen seit Ende des Ersten Weltkrieges erfolgte nicht zufällig gegen die Einwohner einer Kurdenstadt. Beim Kampf gegen Kurden wurde noch niemals Rücksicht auf Völker– oder Kriegsrecht genommen. Es hat schon Tradition, daß sich die Regierungen in Ankara, Bagdad und Teheran an Zivilisten rächen, wenn sie die Kurden–Kämpfer, die Peshmerga, in den Bergen nicht besiegen können. Seit Jahrzehnten werden Zwangsumsiedlungen, Ermordung, Folter und Bombardierungen ganzer kurdischer Dörfer und Städte von der Weltöffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Die systematische Bombardierung der irakischen Kurdenstadt Halabja am Mittwoch vergangener Woche mit chemischen Waffen ist kein Zufall: Die irakische Führung hat bereits seit Jahren gezeigt, daß sie nicht bereit ist, bewohnte Städte in die Hände von Gegnern fallen zu lassen. Die Kurdenstadt Penjwin, 40 Kilometer nördlich von Halabja, wurde dem Erdboden gleichgemacht, damit sie nicht zum Sitz einer Art Gegenregierung ausgebaut werden konnte. Zudem werden seit Anfang 1984 verstärkt Kurdendörfer, die als Stützpunkte der Opposition gelten, zwangsgeräumt und durch Sprengungen zerstört, so daß von weitem nicht einmal mehr die Ruinen der Häuser zu erkennen sind. Außerdem hat die irakische Luftwaffe bereits in der zweiten Aprilhälfte vergangenen Jahres chemische Waffen gegen etwa 50 Kurdendörfer in den Regionen Dokan, Arbil, Suleymaniyeh und gegen die Stadt Qara Dagh eingesetzt. Trotz eines Appells der irakischen Kurden an UN– Generalsekretär Perez de Cuellar wurden die Vorfälle nicht untersucht. Im Januar dieses Jahres gab es weitere irakische Giftgasangriffe in Nord– Kurdistan. Und schließlich hat vor nicht einmal vier Wochen die britische Militärzeitung Jane's Defence Weekly gewarnt, es bestehe die Gefahr der Ausweitung der chemischen Kriegsführung im Golfkrieg. Irak verfüge über eine Monatsproduktion von 60 Tonnen Senfgas und vier Tonnen Sabin und Tuban. Krieg gegen die Kurden Halabja wurde am Mittwoch vergangener Woche ohne einen einzigen Schuß von den Peshmaergader Patriotischen Union Kurdistans (PUK) und den iranischen Streitkräften besetzt. Das ist ein Indiz, wie gefährlich das Bündnis der geeinten irakischen Kurdenopposition mit Iran für die Regierung in Bagdad geworden ist. Mit der irakischen Regierung kollaborierende Kurden laufen bereits seit Monaten zur Opposition über. Die Kurdenopposition kontrolliert bereits die an die Türkei grenzenden Gebiete im Norden und die nordöstliche an Iran grenzende Region, in der auch die Front des Golfkrieges verläuft. In den ersten vier Kriegsjahren gab es tiefe Widersprüche innerhalb der Kurden– Opposition. Die PUK bekämpften die Kommunistische Partei Iraks (IKP) und zerstörten im Frühjahr 1983 deren Hauptquartier. Die den Norden Irakisch–Kurdistans kontrollierende Demokratische Partei Kuristan Irak (KDP) operierte als fünfte Kolonne Khomeinis und half ihm im eigenen Land beim Kampf gegen die Kurden im Iran. Die PUK leistete sich jahrelang einen Zickzack–Kurs zwischen bewaffnetem Kampf und Verhandlungen mit der Regierung in Bagdad. Im Sommer 1983 war ein Abkommen zwischen der PUK und der Regierung bereits paraphiert. An türkischem Einspruch, dem Widerstand von Kurden– Führern, die mit der Regierung zusammenarbeiteten, sowie der Opposition des irakischen Geheimdienstes scheiterte Ende September die Unterzeichnung. Die Zentralmacht glaubte zu der Zeit, sich eine Konfrontation mit der PUK leisten zu können, da die ersten iranischen Großoffensiven auf irakisches Territorium im Süden der Front östlich von Basrah gescheitert waren. Zunächst vereinzelt, dann systematisch, begannen die Regierungstruppen wieder anzugreifen. Verhaftungswellen unter Sympathisanten, brutale Aktionen, wie das Zuschütten des Eingangs einer Berghöhle, in die sich eine Peshmerga– Einheit geflüchtet hatte, führten schnell wieder zu den alten erbitterten Auseinandersetzungen. Gleichzeitig entwickelte sich eine systematische Zusammenarbeit innerhalb der Opposition. Vor knapp einem Jahr eroberte eine gemeinsame Streitmacht der PUK, der Demokratischen Partei Kurdistan Iraks, der Kommunistischen Partei Iraks und der beiden Sozialistischen Parteien Kurdistan die Stadt QaraDagh, die 48 Stunden später mit chemischen Waffen angegriffen wurde. Vor dem Hintergrund dauernder Offensiven der Regierungstruppen suchte die PUK Ende 1985 ein neues Bündnis mit Iran. Es dauerte noch Monate, bis Khomeinis Männer in weite Teile der von der PUK kontrollierten Gebiete vorgelassen wurden. Für den Golfkrieg hatte das wichtige Auswirkungen, denn die PUK kontrollierte weite Pufferzonen zwischen der iranischen und der irakischen Front. Da die anderen Kurden–Organisationen bereits seit Beginn des Golfkrieges unter Teheraner Einfluß standen, konnten die iranischen Streitkräfte jetzt systematisch im gesamten Norden der Front mit Hilfe der kampferfahrenen Peshmerga die Stellungen Iraks angreifen. Sie unterbrachen seither wiederholt die strategisch wichtige Straßenverbindung in die Türkei oder griffen Industrieanlagen nahe der Ölfelder von Kirkuk an. Seit dem Scheitern der Großoffensive bei Basrah im Januar vergangenen Jahres hat Iran seine Angriffe in Kurdistan systematisch intensiviert. Zum einen waren in den Bergregionen Erfolge möglich, und zum anderen hat sich Teheran mit den Kurden ein Pfaustpfand für Friedensverhandlungen geschaffen, das für die vom Irak aufgebauten und ausgehaltenen iranischen Volksmudjahedin eingetauscht werden kann. Im Juli und November 1987 und im Januar gab es große Offensiven. Meldungen von jeweils Tausenden von Toten wurden mit Schweigen übergangen, da kein internationales Interesse an dem Schicksal der Region und ihrer Bewohner existiert, und das Kurdengebiet von beiden Kriegsparteien zur Sperrzone für Journalisten erklärt wurde. Den Überraschungsangriff auf die Halabja–Ebene am Montag vergangener Woche konnte Irak nicht abwehren. Vier Tage zuvor hatte Bagdad für einen solchen Fall Angriffe auf Wohngebiete angekündigt. Da sie sich in Halabja gegen die eigenen Kurden richteten, war jedes Mittel recht, weil es nicht um einen militärischen Erfolg, sondern um Abschreckung geht. Walter Gebhardt

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