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Griot im Afrika der Städte

Der senegalesische Popstar Youssou N'Dour ist auf Deutschlandtournee/ Ein Porträt  ■ Von Volker Präkelt

Youssou N'Dour ist frisch verheiratet. Auf dieser Europareise wird er von seiner Frau begleitet. Die Senegalesin verfolgt das Interview mit höflichem Interesse. Beide sind ein wenig überrascht, als ich eine Frage nicht an ihn, sondern an sie richte. Ist es nicht furchtbar anstrengend, mit einem Mann verheiratet zu sein, der nicht nur als Popstar, sondern in Afrika wie in Europa als Sexsymbol angesehen wird?

„Ich begleite ihn zum ersten Mal auf einer Tournee. In Europa ist es nur halb so schlimm. In Afrika, wo er sehr populär ist, sind die Mädchen richtig scharf auf ihn. Ich hatte noch nie etwas von ihm gehört, bevor ich ihn kennenlernte. Ich lebte in einem ganz anderen Milieu. Die Begegnung mit dem Starkult fand ich entsetzlich. Jetzt stehe ich genauso im Mittelpunkt, weil ich seine Frau geworden bin. Viele Frauen in Senegal beneiden mich darum.“

Für Künstler aus Afrika müssen viele europäische Auftritte wie ein Gastspiel in einer fremden Welt sein. Das erste Konzert, in dem ich die „Goldkehle aus Dakar“ („Weltbeat“) erlebt habe fand 1987 statt — Youssou N'Dour war „support act“ für Peter Gabriel. Die Sonne schien, während sich die Arena stetig füllte. Die Zuschauer unterhielten sich, die afrikanische Musik unten auf der Bühne wurde allenfalls Peter Gabriel als Extravaganz angerechnet.

In Dakar war das immer ganz anders. Dort werden Gruppen wie „Super Etoile de Dakar“, Youssou N'Dours langjährige Band, mit Geldscheinen und Schmuck beworfen. Für die mehrstündigen Konzerte in Nachtklubs und Fußballstadien braucht es zu Werbezwecken kaum mehr als eine Radioansage und Mundpropaganda. Die einzelnen Titel dauern bis zu zwanzig Minuten.

Auf Set, der jüngsten und weltweit erschienenen Langspielplatte Youssou N'Dours, reicht kaum ein Titel über vier Minuten. Wird das westliche Radioformat von den Fans in Dakar akzeptiert?

„Ja. Sie begreifen es als eine wichtige Facette meiner Musik“.

Youssou N'Dour ist selbstbewußt. Seine Musik ist in jedem senegalesischen Haushalt zu hören — auf eine Verkaufskassette kommen gut 50 Raubkopien. Das sind bei 6 Millionen Menschen zwei Youssou N'Dour-Kassetten pro Kopf, wie der Musikjournalist Jean Trouillet errechnet hat.

Begonnen hat Youssou N'Dours musikalische Karriere in den Schulferien. Populäre Musiker und Theaterleute rissen sich bald um das 12jährige Talent. Doch ganz so einfach war der frühe Einstieg in die Karriere nicht.

„Mein Vater war dagegen. In Afrika hat das Wort der Eltern ein großes Gewicht, erst recht, wenn man noch nicht volljährig ist, aber auch danach. Mein Vater wollte nicht, daß ich in die falschen Kreise gerate — Alkohol, Drogen und was dazugehört. Ich habe ihm gesagt, daß es mir nur um die Musik geht. Ich mußte kämpfen. Ein Musikerleben entsprach eben nicht den Vorstellungen meines Vaters.“

Schritt für Schritt setzte der junge Sänger seine Vorstellungen durch. Mit 16 wurde er Profi als Sänger der populären „Star Band“.

„In dieser Zeit stammten die wichtigsten Einflüsse auf die senegalesische Musik aus Lateinamerika, vor allem aus Kuba. Später kam die schwarze Musik aus Nordamerika dazu — die von James Brown und anderen. Auch Bob Marley war wichtig. Diese Musiker haben unserem Volk wie auch dem übrigen Afrika das Vertrauen in seine Kultur zurückgegeben, das Vertrauen in die afrikanischen Rhythmen. Der Rhythmus ist die Botschaft unseres ganzen Kontinents. Wir, die jungen afrikanischen Musiker, haben versucht, die weniger komplizierten traditionellen Rhythmen in unsere Musik einzuarbeiten. Herausgekommen ist etwas viel Moderneres, als wir uns vorgestellt haben.“

Mit ihrer Musik, die sie „Mbalax“ nannten, formulierten Youssou N'Dour und seine Band das musikalische Statement ihrer Generation. Eine Mischung aus der ländlichen Tradition der Ahnen und der urbanen Mixtur des Medina-Viertels, einem Stadtteil in Dakar, dem Youssou N'Dour auf seinem neuen Album Set einen Song gewidmet hat.

„Dakar ist eine Stadt mit zwei Seiten. Ihre Menschen sind modern und traditionsbewußt. Ich singe vor allem für die, die progressiv denken. Das progressive Afrika — das ist zugleich der Fortschritt und die Verwurzelung.“

Tradition und Fortschritt — eines der Lieblingsthemen von Youssou N'Dour und Bestandteil seiner Philosophie. Politisch konkret wird er dagegen selten; er begreift sich als bekannteste Stimme seiner Nation und panafrikanischer Repräsentant in diplomatischer Mission.

„Als es weder Fernsehen noch Radio gab, zogen ,Griots‘ durch das Land, singende Geschichtenerzähler, die alles in ihren Köpfen verwahrten. Sie erzählten mit Pathos und großen Gebärden. Sie sangen für den König, die reichen Familien und für das Volk. Sie nahmen kein Blatt vor den Mund, auch wenn sie sich damit Probleme einhandelten. Wenn es ein Fest gab, schlugen sie die Trommeln. Sie waren immer da, um den Menschen zu helfen. Ich begreife mich als moderner 'Griot‘, der das progressive und junge Afrika beschreibt, das Afrika der Städte.“

Youssou N'Dours Texte stehen im Spektrum zwischen Tradition und Moderne. Er singt von vergangenen Königshäusern oder von „Kocc Barma“, dem Eulenspiegel Senegals, der einen verhaßten Herrscher mit List übertölpelte. Und er thematisiert wie in 'Toxique', dem aktuellsten Song des neuen Albums, auch ein dringendes Umweltproblem.

„Es geht um den Giftmüll aus den Industrienationen. Es ist meine Aufgabe, die Bevölkerung zu informieren, daß dieser Giftmüll vor ihrer Haustür abgeladen werden soll. Diese Gefahr wird von den Regierungen verschleiert. Die Menschen bekommen nichts davon mit, viele sind Analphabeten oder beherrschen die offizielle Sprache der Medien nicht. Ein Lied kann da mehr helfen als Verlautbarungen und politische Reden.“

Eine wichtige Station in Youssou N'Dours internationaler Karriere markiert die Freundschaft mit dem britischen Popstar Peter Gabriel. Er nahm ihn und Super Etoile de Dakar mit auf eine Welttournee. Gleich im Anschluß war Youssou N'Dour neben Grabriel, Sting, Bruce Springsteen und Tracy Chapman musikalischer Delegierter der weltweiten „Amnesty International Human Rights Now Tour“. Die anschließend in Paris, London und Dakar produzierte LP The Lion — insgesamt die neunzehnte, weltweit die zweite Veröffentlichung — ist geprägt von vielen persönlichen und kulturellen Begegnungen. Daß er auf The Lion zum ersten Mal auch englisch sang, nahmen ihm europäische Fans der ersten Stunde übel — von Anpassung an den Weltmarkt war die Rede.

The Lion ist das Ergebnis meiner Reisen. Ich habe viele internationale Musiker eingeladen, an diesem Album mitzuarbeiten — Peter Gabriel, David Sanborn, Manu Katche, David Sancious, Kenny Kirkland, George Acogny. Insofern war die Platte eine Mischung aus vielen Einflüssen, modern und international. Ich mag dieses Album sehr. Danach habe ich mich viel stärker gefühlt. Auf meiner neuen Platte Set habe ich alle diese Erfahrungen mit meiner eigenen Gruppe Super Etoile de Dakar verarbeitet. Es gibt einen großen Unterschied zwischen beiden Veröffentlichungen. Die eine ist moderner, die andere steht mir näher.“

Daß Set insgesamt geschlossener klingt, liegt auch an der Rückkehr zu früheren Produktionsformen. Während auf The Lion viele Köche im Overdub-Verfahren rührten, wurde die neue im (Brüsseler) Studio quasi „live“, ohne Playback eingespielt. Produziert hat der amerikanische Gitarrist Michael Brook, der aus dem Kreis um Brian Eno und den kanadischen Produzenten und Musiker Daniel Lanois stammt.

„Brook ist nach Dakar gekommen, um uns zu hören. Ich habe gleich gesehen, daß er meine Ideen respektiert. Darum habe ich ihn als Produzent akzeptiert. Er hat sehr viel zu diesen Aufnahmen beigetragen.“

Wenn im Song „Xale“ plötzlich Streicher als sanfte Rhythmusgruppe einsetzen, dann stammt diese Idee aus dem Repertoire des Produzenten. Überhaupt stehlen ungewöhnlich instrumentierte Balladen den dynamischen Songs im Uptempo fast die Show.

„Ich will zeigen, daß afrikanische Musik nicht nur vom Rhythmus bestimmt ist — es gibt Stimmen, Melodien und Harmonien. Auch auf diese Seite kommt es mir an.“

Das für europäische Ohren rhythmisch komplizierte Stück „Sabar“ bezieht sich auf den gleichnamigen Tanz, der aus der Stammestraditon der Wolof stammt und in Senegal sehr populär ist.

„Das ist der Tanz, den meine Gruppe und ich auch auf der Bühne zeigen. In Dakar tanzt man ,Sabar' auf der Straße, manchmal nur begleitet von einer ,Talking Drum‘. Ein sehr schöner Tanz, der neurdings ein wenig übertrieben wird. Die Menschen stellen sich beim Tanzen zu sehr zur Schau. Ich möchte, daß Sabar in seiner ursprünglichen Form erhalten bleibt, ohne allzuviel Sex. Das gibt dem Ganzen sonst eine vulgäre Note.“

Wolof ist auch die Sprache, in der Youssou N'Dour singt. Eine englische Übertragung der Texte findet sich auf dem Cover zum neuen Album. Dort steht auch geschrieben, daß viele ihn als den „ersten legitimen Superstar der Weltmusik“ betrachten.

Als ich Youssou N'Dour befrage, was er von dieser Weltrangliste hält, entsteht zunächst Verwirrung im Deutsch-Englisch-Französisch- Hin-und-Her. Was das französische Synonym für legitimate sei, will er von der anwesenden Dolmetscherin wissen. Die übersetzt — recht mäßig — mit naturellement. Hält er sich also für die „natürliche“ Nummer eins?

„Ja. Ich bin zur Zeit der bekannteste afrikanische Musiker. Das ist die Wahrheit.“

Plattentips:

Youssou N'Dour & Le Super Etoile de Dakar: „Immigrés/bitim rew“, Celloloid 1984, Best. Nr. 6709

Youssou N'Dour: „The Lion“, Virgin 1989, Best. Nr. CDV 2584

Youssou N'Dour: „Set“, Virgin 1990, Best. Nr. CDV 2634

Ausführliche Diskographie (auch Kassetten) sowie ein Beitrag über Youssou N'Dour in: Jean Trouillet/Werner Pieper (Hg.), „Welt- Beat. Ja-Buch für Globe-HörerInnen“, Löhrbach 1989

Tourneedaten: Heute in Berlin, morgen in München.

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