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Archiv-Artikel

Grenzenloses Strafregister

Der Serienmörder Fourniret hat EU-Ministerrat auf den Plan gerufen. Er soll heute ein europäisches Vorstrafenregister einrichten – obwohl der Datentausch möglich ist

FREIBURG taz ■ Europa ist nicht schuld. Dass der französische Serienmörder Michel Fourniret in Belgien als unbescholten galt, liegt nicht an fehlenden Rechtsgrundlagen. Schon seit Jahrzehnten können sich Strafverfolger im Strafregister eines anderen Staates informieren.

Dennoch verhandelt der EU-Ministerrat heute über die Schaffung eines EU-Vorstrafenregisters. Fourniret war 1987 in Frankreich wegen Sexualdelikten zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Später vergewaltigte und tötete er in Frankreich mehrere Mädchen und Frauen, ohne entdeckt zu werden. 1992 zog der heute 62-Jährige nach Belgien. Dort wurde er 2003 verhaftet, nachdem ein von ihm entführtes Mädchen flüchten konnte.

Als die belgische Staatsanwaltschaft in Frankreich nachfragte, bekam sie keine Auskunft über Fournirets Vorstrafe wegen Vergewaltigung. Fournirets Anwalt hatte bereits die Entlassung aus der Untersuchungshaft beantragt, dann aber packte Fournirets Ehefrau aus. Als besonders skandalös gilt, dass Fourniret an einer Schulkantine arbeiten konnte, weil sein belgisches Führungszeugnis rein war. Als diese Informationslücken Anfang Juli bekannt wurden, forderten belgische Politiker und die EU-Kommission sofort ein europäisches Vorstrafenregister. In Deutschland sind vor allem Unionspolitiker dafür. Dagegen will Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) nur die nationalen Strafregister besser vernetzen.

Die EU-Kommission will nach Informationen des Deutschen Anwaltvereins auf ihrer heutigen Sitzung drei Initiativen ankündigen. Erstens will die Kommission eine Pflicht einführen, bei Verbrechen mit grenzüberschreitendem Bezug die Vorgeschichte in anderen Staaten zu berücksichtigen. Zweitens sollen Kriterien für den Austausch von Informationen aus nationalen Gerichtsregistern aufgestellt werden. Drittens hat die Kommission ein Weißbuch zur Schaffung eines EU-Vorstrafenregisters angekündigt.

Der wesentliche Schritt für die europäische Zusammenarbeit in Strafsachen ist aber schon mehr als 40 Jahre alt. Seit 1959 gibt es das europäische Übereinkommen für die Rechtshilfe in Strafsachen. In dessen Artikel 13 ist geregelt, dass Staatsanwaltschaften in anderen Unterzeichnerstaaten in gleichem Umfang Auskunft bekommen, wie eine nationale Behörde. Dieses Abkommen ist mittlerweile von 41 Staaten unterzeichnet und wird tagtäglich genutzt.

Für die Informationslücken im Fall Fourniret sorgte eher, dass Frankreich Informationen im Strafregister schneller tilgt als viele andere Staaten. In Deutschland werden Verurteilungen wegen Sexualtaten bis 20 Jahre nach Strafende im Bundeszentralregister gespeichert. Bis 10 Jahre nach Strafende müssen sie auch im polizeilichen Führungszeugnis angegeben werden. Wer im öffentlichen Dienst oder in Kinderbetreuungseinrichtungen arbeitet, muss in Deutschland ein Führungszeugnis vorlegen. Allerdings besteht auch in Deutschland keine Pflicht, bei Ausländern oder Deutschen, die lange im Ausland gelebt haben, ein Führungszeugnis des fraglichen Landes vorzulegen. CHRISTIAN RATH

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