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Grenzbereiche einer moralischen Betrachtung

■ betr.: „Jetzt wieder essen für Kurdistan möglich“, taz vom 15. 8. 1995

Wie immer man sich auch als (deutsche/r) Linke/r in dem Kontext der hungerstreikenden KurdInnen positioniert – nichts rechtfertigt eine politisch derart ignorante und dumme Artikelüberschrift.

Was soll das heißen? Kokettiert die Wahl der Worte mit einem Lacher beim Leser nach dem Motto: manchmal wird gehungert (auch gestorben) – manchmal wird gegessen... ist das nicht witzig?

Nein, das ist nicht witzig und Zynismus von der schlechtesten Sorte. Keine bessere Freizeitbeschäftigung oder einfach Nervenkitzel, eher anders herum: Viele riskieren bei diesen politischen Aktionen Kopf und Kragen zwischen Staatsschutz, Ausländerpolizei und türkischem Regime. Die Aktionen sind nicht nur ernst gemeint, sie sollten auch derart ernst – und kritisch – dokumentiert werden. Auch wenn ich Gefahr laufe, in die Grenzbereiche einer eher moralischen Betrachtung der politischen Ereignisse zu geraten, so vermisse ich da bei Prechtel jeglichen elementaren, ja menschlichen Respekt vor dem politischen Engagement der hungerstreikenden KurdInnen. Es geht nämlich nicht um ...wieder essen für Kurdistan..., sondern immer noch und insbesondere jetzt darum, eine Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Vernichtung durch das türkische Regime zu beenden. Und niemals bisher waren die Chancen für eine politische Veränderung in der Türkei größer. Welche nicht zu unterschätzende Rolle dabei der politischen Praxis der im Ausland, insbesondere in der BRD lebenden KurdInnen zukommt, kann man sowohl von Heckelmann und Kanther als auch der türkischen Presse entnehmen. Ob diese Praxis den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik wie auch in der Türkei adäquat ist, bedarf einer offenen und kritischen Diskussion. Maria Nissen

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