Graphic Novel "Im Visier": Zwei Schüsse in den Kopf
In Jaques Tardis Graphic Novel "Im Visier" geht es um einen desillusionierten Profikiller – nach der Vorlage des Romans von Jean-Patrick Manchette.
Jacques Tardi hat immer schon gern zurückgeschaut. Einerseits unter mehr oder minder ironisch gefärbten nostalgischen Vorzeichen, wie in "Adeles ungewöhnliche Abenteuer" (1976-1998), einer in der Belle Epoque angesiedelten Kolportageserie, oder in seinen bisher fünf Adaptationen der Detektivromane Léo Malets, die im Paris der Vierziger und Fünfziger spielen.
Andererseits ist Tardis obsessive Beschäftigung mit der Vergangenheit von einem humanistisch-anarchistischen Furor geprägt: In "Die Macht des Volkes" (2001-2004) schilderte er den Untergang der Pariser Kommune, und in mehreren Arbeiten - zuletzt in "Elender Krieg" (2008/2009) - setzte er sich intensiv mit den Grabengemetzeln des Ersten Weltkrieges auseinander.
Zu den Höhepunkten seines umfangreichen Werks zählt die Zusammenarbeit mit dem 1995 verstorbenen Jean-Patrick Manchette, der in den Siebzigern mit seinen lakonischen, amerikanischen Vorbildern verpflichteten Thrillern den französischen Roman Noir gründlich erneuerte. Manchette schrieb das Szenario zu "Der Schnüffler" (1978); ein weiteres Album kam nicht über die Planung hinaus.
Blick zurück
Dafür hat Tardi in den letzten Jahren begonnen, die Romane Manchettes in Graphic Novels umzusetzen. Vor sechs Jahren erschien die Adaptation von "Killer stellen sich nicht vor", nun folgt "Im Visier". Wieder geht der Blick Tardis also zurück - denn so modern Manchette seinerzeit war, inzwischen ist er ein Klassiker.
Martin Terrier, die Hauptfigur von "Im Visier", ist ein Profikiller. Er ist noch jung und sehr gut in dem Geschäft, das er seit knapp zehn Jahren betreibt. Aber er will aussteigen. Er macht mit seiner Freundin Schluss, kündigt seine Pariser Wohnung und fährt in die Provinzstadt, in der er aufgewachsen ist. Dort wohnt Alice, sein Jugendschwarm, eine höhere Tochter.
Jacques Tardi (Zeichnungen und Adaptation): "Im Visier. Nach einem Roman von Jean-Patrick Manchette". Aus dem Französischen von Stephan Pörtner. Edition Moderne, Zürich 2011. Großformat, 104 Seiten, 24 Euro
Aus dem erhofften Liebesidyll wird allerdings nichts. Die gewalttätigen Verwandten eines italienischen Waffenhändlers, den Terrier umgelegt hat, sind ihm auf den Fersen. Und dann holen seine früheren, hartnäckigen Auftraggeber ihn aus dem vorzeitigen Ruhestand zurück: Ein hoher Opec-Mitarbeiter soll während seines Besuches in Frankreich erschossen werden.
Schicksal schlimmer als der Tod
Aus dem Standardmotiv vom letzten Job entwickelt Manchette die Geschichte eines unaufhaltsamen Zerfalls. Im Bett mit Alice erweist Terrier sich erst als impotent, dann als miserabler Liebhaber; eine Zeit lang verliert er seine Stimme; zwei Schüsse in den Kopf machen ihn zum Krüppel. Am Ende ist er seinem verachteten Vater ähnlich geworden, ein Schicksal schlimmer als der Tod.
So wiederholt Martin Terrier, in radikalisierter Weise und um einige soziale Stufen niedriger, was Georges Gerfaut, der Hauptfigur von "Killer stellen sich nicht vor", passiert: Gerfaut ist kaufmännischer Angestellter, wird durch Zufall in haarsträubende Abenteuer verwickelt und kehrt schließlich, als wäre nichts gewesen, in seine alte Existenz zurück.
Hauch von Sehnsucht
Keine der Figuren von "Im Visier" besitzt annähernd sympathische Züge; daher rührt die große Kälte, die dieser Roman ausstrahlt. Im Comic ist sie ein wenig gemildert. Wenn Tardi in seinem genialen Schwarz-Weiß-Stil nächtliche Straßen oder Paris im Regen zeigt, stellt sich sofort eine elegische Atmosphäre ein, ein Hauch von Sehnsucht und romantischer Verlorenheit.
Dazu kommt die Art, wie er Gesichter zeichnet: im Grunde realistisch, die Reduktion auf Kontur und ein paar Striche für Mund, Nase, Augen erinnert aber auch an Semi-Funnys, vor allem an Hergé, der einer der Lehrmeister Tardis war. Trotz solcher Veränderungen in der Tonlage verrät der Comic den Roman jedoch nicht.
Tardi lässt nur mit Meisterhand hervortreten, was sich bei Manchette zwischen den Zeilen verbirgt: eine Groteske, eine Mischung von Schrecklichem und Komischen, die tiefer Desillusionierung entsprungen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?