Grace Jones' brillantes neues Album: Die mechanische Braut
Das unwahrscheinlichste Comeback des Jahres: Grace Jones hat mit "Hurricane" eine brillante neue Platte gemacht.
Sage bloß niemand, er habe mit diesem Comeback gerechnet! Ja, noch die drittrangigste Band der Achtziger ist zurückgekehrt und hat ihre alten Hits noch mal gespielt. Der Angriff der digitalen Gegenwart auf die analoge Vergangenheit ist so umfassend, dass jeder fünfzigjährige Exbassist das dringende Verlangen spürt, sein jüngeres Selbst noch einmal auf einer Bühne nachzustellen. Aber Grace Jones? Damit war wirklich nicht zu rechnen.
Auch weil sie so umfassend weg war. Andere Popstars kehren ins Privatleben zurück. Aber Grace Jones? Kann man sich Grace Jones wirklich dabei vorstellen, wie sie für ihren Sohn eine Suppe kocht? Oder morgens in einer ihrer Wohnungen in Venedig, Paris, London oder New York zusammen mit der Zeitung die Tantiemenabrechnung aus dem Briefkasten holt und sich denkt: Heute mache ich wieder mal nichts? Nicht wirklich.
Und, Wunder über Wunder, mit ihrem neuen Album "Hurricane" kann Grace Jones nicht nur nahtlos dort ansetzen, wo sie vor gut zwanzig Jahren aufgehört hat. Es ist auch eine brillante Platte geworden. Für alle, die Jahrescharts lesen: eine der besten dieses Jahres. Und was soll, seit 1989 ihr letztes Album erschien, schon gewesen sein? Mauer gefallen, Apartheid weg, Kurt Cobain und Tupac Shakur tot, Internet für alle, 9-11, Irakkrieg, Scooter Nummer eins in England, Obama US-amerikanischer Präsident?
Grace Jones war ja auch deshalb so umfassend weg, weil sie nur als Kunstfigur überhaupt da war. Als ihre eigene Kunstfigur, das große Grace-Jones-Kunstwerk. Daran baut "Hurricane" weiter. Etwa mit dem Videoclip zur ersten Single, "Corporate Cannibal", ein Meisterwerk der Körperverformungskunst, wie Grace Jones sie in den Achtzigern pionierte, als ihr damaliger Lebensgefährte Jean-Paul Goude sie in unmöglichen Stellungen fotografierte und ihre Gliedmaßen dann noch verlängerte und verschob, bis die legendären Cover entstanden. Mit unendlich hochdesignter Frisur ("Slave To The Rhythm") oder als leicht bandagierter, nackter, schwarzer Übermensch, der ein Mikrofon von sich streckt, dessen Kabel direkt in die Steckdose führt ("Island Life"). Grace Jones, der Alien. So zerrt sie Regisseur Nick Hooker nun wieder in die Länge und Breite. Tiefschwarze Bilder vor einem strahlendweißen Hintergrund, nie sieht man ihr Gesicht, das sich in alle Weltgegenden wellt, manchmal verdoppelt, dann verschwindet. Im Internet toben schon wilde Diskussionen darüber, was dieses Stück mit der Weltfinanzkrise, Kapitalismuskritik und ähnlichen Dingen zu tun haben könnte. So ist das mit großen Kunstwerken, sie laden zur Interpretation ein. Grace Jones selbst glaubt, dieses Stück würde ihre Erfahrungen mit der Musikindustrie reflektieren. Eine andere Möglichkeit wäre es, das Video zu "Corporate Cannibal" als Neuinterpretation der mechanischen Braut zu deuten, als die Jones sich in den Achtzigerjahren ja schon inszenierte. Diese menschenfressende Überfigur, die Sexmaschine als Roboter.
Fast sechzig Jahre ist Grace Jones nun alt, ihr genaues Alter kennt niemand außerhalb ihrer Familie. Als sie in den späten Siebzigern auftauchte, kam sie aus dem selbst erfundenen Nichts - real war sie Kind einer rechtgläubigen jamaikanischen Familie, der sie durch die Flucht in den Showbetrieb entkam. Ihre Mutter traute sich Jahre später wegen ihres Rufs in der Kirchengemeinde nicht, die Credits für ihren Backinggesang auf Jones Platten anzugeben. Das hat sich nun geändert, in dem Stück "Williams Blood" singt sie für die neue Platte ein paar Takte der Gospelhymne "Amazing Grace" ein. Williams ist der Familienname aufseiten der Mutter.
Grace Jones wurde zur Diskodiva, Schwulenikone und Künstlerpartnerin. Sie war mit Andy Warhol befreundet, sie ließ sich von Helmut Newton und Robert Mapplethorpe fotografieren. Sie transzendierte Geschlechterrollen und unterlief identitäre Zuschreibungen: Sie skizzierte eine Existenz jenseits des heteronormativen Zwangssystems, wie man so schön sagt. Darüber funktionierte eine ganze Reihe der Megastars der Achtziger: Ähnliches lässt sich über Prince sagen wie über Michael Jackson und auch Madonna. Nur: Sie war extremer. Pop ist von jeher eine Körpertransformationskunst auch vor Grace Jones, ob bei Elvis, David Bowie oder Kiss. Grace Jones nahm dies auf und führte es auf der Linie weiter, die Kraftwerk vorgegeben hatten, ohne sich dabei den Körpereinsatz zuzutrauen, mit dem Jones diese Rolle dann füllte: Sie war die Menschmaschine. Nicht Frau, nicht Mann, nicht schwarz, nicht weiß. Eben Grace. Die Frau, die für eine Citroën-Werbung ein Auto aus ihrem Gesicht fahren ließ. Und die als Bond-Bösewichtin May Day in "Im Angesicht des Todes" mit Oberschurken Christopher Walken zusammen einen künstlichen Tsunami lostreten wollte, um Kalifornien zu vernichten und die Welt-Chip-Produktion in ihre Hände zu bekommen oder so ähnlich.
Das Interessante an Grace Jones war aber noch etwas anderes: ihre ganz eigene Auslegung von dem, was Dance Music sein könnte. Die Achtzigerjahre mögen das Jahrzehnt gewesen sein, als die Grenzen zwischen schwarzer und weißer Musik wankten und fielen, aber niemand betrieb diese Planierarbeit so nachhaltig und extrem wie Grace Jones. Sie coverte schneeweiße Stücke wie "Warm Leatherette" von The Normal oder "Shes Lost Control" von Joy Division. Und ließ ihre Platten von Sly & Robbie produzieren, der jamaikanischen Killermaschine mit Studio auf Barbados. Deshalb hören sich ihre alten Stücke heute noch so frisch an. Und deshalb ist auch "Hurricane" eine Platte, die so mühelos im Hier und Jetzt agiert. Sie ist mit den alten Partnern eingespielt: Sly & Robbie und Wally Badarou. Dazu sind noch Tony Allen gekommen, der Erfinder des Afrobeat, Schlagzeuger von Fela Kuti und The Good, The Bad & The Queen sowie Wendy & Lisa, die ehemalige Rhythmusgruppe von Prince. Außerdem dabei: Tricky.
"This Is My Voice/ My Weapon Of Choice" sind die ersten Zeilen des ersten Stücks, und so kann man sich das ganze Album vorstellen: eine elegante und friedliebende Kriegsmaschine voll monströser Killergrooves. "This Is Technology/ Mixed With A Band" sind zwei weitere Zeilen von "This Is", dem großartigen Opener, in dem Grace Jones erzählt, wovon diese Platte handelt. Von ihr nämlich, Grace Jones, der Diva, die nie ein Promi geworden ist. Der Figur, die jeder kennt, und über die niemand etwas weiß. Wie alles, was sie gemacht hat und machen wird.
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