: Governing through crime
betr.: „Abscheuliche Straftaten“ (Interview mit Justizministerin Brigitte Zypries), taz vom 20. 11. 02
Geht es, wie Frau Zypries wortmächtig auf der politischen Vorderbühne vorgibt, nur um den Schutz der Kinder oder benutzt sie das Elend der Opfer zur Tarnung ganz anderer Absichten der politischen Hinterbühne? Was fällt einem nicht alles an unterlassenen politischen Maßnahmen zum Schutz unserer Kinder ein! Nur zwei Tage nach Bericht und Interview informiert die taz unter der Überschrift „Flüchtlingskinder ohne Rechte“ über die auch unter Rot-Grün beibehaltene Linie der Nicht-Ratifizierung und der Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention, wie sie von der Vorgänger-Regierung unter Helmut Kohl im Jahre 1992 formuliert worden ist, mit der Begründung, um „Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen“. Nun weiß sicherlich auch die Ministerin von der Opferanfälligkeit für sexuelle Straftaten gerade von Kindern, die durch die UN-Konvention geschützt werden sollen.
[…] Die Pläne der Ministerin sind ein augenfälliger Beleg für die willfährige Bereitschaft mancher politischer und staatlicher Funktionsträger, die „neue Lust auf Strafe“, von der der derzeitige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, W. Hassemer, schon vor längerem sprach, zu bedienen – oder sie sogar zu schüren. Oder drückt sich darin sogar die Suche nach Gruppen in einer Gesellschaft aus, die sich mehr und mehr zu einer „Opfer- und Hassgesellschaft“ entwickelt, der aber die Gruppen ausgehen, die sich noch ungestraft und legitimerweise hassen und verachten lassen, wie dies der englische Soziologe Zygmunt Bauman vermutet? Ein amerikanischer Kriminologe hat diese Form der politischen Herrschaft und des Regierens treffend als „governing through crime“ bezeichnet. FRITZ SACK, Hamburg
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