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Archiv-Artikel

Gottschalk sagt Spargelsylvester droht

CHRISTIAN GOTTSCHALK lebt in Köln und sagt die Wahrheit - alle zwei Wochen in der taz

Auf zwei Dinge kann man sich im April verlassen. Die Zeitschrift „Meine Familie und ich“ hat ein Spargelgericht auf dem Titel (Spargel-Cannelloni, sieht sehr lecker aus: Die würzigen Röllchen aus Schinken, Nudelteig und Spargel werden mit Kräutern und Senf verfeinert), und in den Magazinsendungen im Fernsehen mähren deutsche Bauern über deutsche Arbeitslose, die partout keinen Spargel stechen wollen. Und jetzt bleiben auch noch die Polen weg. In anderen Ländern, wie Dänemark oder England, ist das Problem längst gelöst. Man zahlt einfach, statt wie hierzulande 5,42 Euro, Löhne von 10 bis 15 Euro die Stunde und schon ist die Ernte des „weißen Goldes“ gesichert. Ganz ohne den Versuch, Arbeitslose unter Androhung von existenzgefährdenden Leistungskürzungen auf die Felder zu treiben und zur Arbeit zu zwingen. Sie reden immer von Zuckerbrot und Peitsche. Aber das Zuckerbrot ist ein vertrockneter Brocken und die Peitsche eine neunschwänzige Katze.

Eigentlich gibt es noch etwas Drittes, auf dass ich mich im April verlassen kann: Meine Freundin fuchst es jedes Jahr, dass die Firma Thomy die Sauce Hollandaise immer noch besser hinkriegt, als sie selber.

Hier in NRW wurde die Spargelsaison am letzten Montag durch NRW-Landwirtschaftsminister Eckhard Uhlenberg (CDU) in Anwesenheit der Spargelkönigin NRW und der Brüggener Spargelkönigin Gertrud Ingenrieth offiziell eröffnet. Und zwar in Brüggen an der Spargelstraße NRW. Die Spargelstraße erreichen Sie, wenn Sie im Schinkenland Westfalen von der KäseRoute NRW Richtung Süden abbiegen. Sie können das gerne überprüfen.

Spargel, so sagte unser Minister, sei ein Stück Lebensqualität. Nun setzt sich Lebensqualität offensichtlich aus sehr vielen Stücken zusammen. Die Metzgerei Magnus Bauch, Groß- und Einzelhandel, München, findet: Fleisch ist ein Stück Lebensqualität. Während die Firma Schnauer-Fertiggaragen der Ansicht ist: Eine Schnauer-Fertiggarage ist nicht nur ein Auto-Abstellplatz, sondern auch ein Stück Lebensqualität. Andere wieder meinen, Brot, ein schönes Bad, der ÖPNV oder atmungsaktives Gewebe seien in jedem Fall auch ein Stück Lebensqualität. Entscheiden Sie selber.

160 Stunden im Monat für 5,42 ergeben übrigens 763,13 Euro netto, da bleibt eine Schnauer-Fertiggarage wohl ewig ein schöner Traum. Und reinstellen möchte man ja auch noch was. Aber es gibt ja den ÖPNV. Und wenn bei diesen Temperaturen alle erst ihr schönes Bad benutzen, um sich dann in atmungsaktives Gewebe zu wanden, bevor sie den ÖPNV benutzen, dann ist das sicher ein Stück Lebensqualität.

Am 24. Juni ist übrigens Spargelsylvester, das Ende der Saison. Ich weiß nicht, wie es funktioniert, wahrscheinlich wie die meisten ruralen Traditionen: Man hängt sich ein Schnapsglas um den Hals, und am nächsten Tag ist die Freiwillige Feuerwehr nicht einsatzfähig. Und in England prosten sich die Polen zu und lachen sich kaputt.