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Gorbatschow zeigt die Zähne

Ultimative Aufforderung an Litauen zu gehorchen/ Militärs versuchen, Befürchtungen bezüglich Militärcoups zu zerstreuen/ Jasow und Estlands Savisaar wollen Schlichtungskommission einrichten  ■ Von Klaus-Helge Donath

Moskau (taz) — In einem Schreiben an das Parlament in Vilnius hat Gorbatschow ultimativ dazu aufgefordert, „der Verantwortung für den Gesamtstaat gerecht zu werden“ und den präsidialen Dekreten Folge zu leisten. Erstmals wurde verklausuliert die Drohung vorgebracht, Litauen der direkten Herrschaft der Zentrale zu unterstellen. Gorbatschow warf der litauischen Regierung vor, die sowjetische Verfassung und die Menschenrechte zu mißachten, die Massen ins Elend zu stürzen und die bürgerliche Herrschaft wiederherstellen zu wollen. In Inhalt und Tonlage gleicht das Schreiben den Forderungen „gesellschaftlicher Organisationen“ aus Litauen, die am Mittwoch auf Weisung Gorbatschows vom Chef des sowjetischen Nationalitätensowjets empfangen worden waren.

Zeitgleich mit diesen Drohgebärden und Bitten um „brüderliche Hilfe“ waren sowjetische Militärs gestern bemüht, Befürchtungen entgegenzutreten, der Einsatz der Fallschirmjägertruppen in Litauen könnte auf die Errichtung des Ausnahmezustands und eine Militärherrschaft in der abtrünnigen Ostseerepublik hinauslaufen. Wie Generaloberst Franz Markowski gegenüber dem sowjetischen Fernsehen erklärte, hat das Armeekommando „niemals in irgendeinem Gebiet der Sowjetunion die Absicht gehabt, einen Militärcoup durchzuführen, und plant das auch jetzt nicht“. In der Tageszeitung der Roten Armee, 'Krasnaja Swesda‘, nannte der stellvertretende Kommandeur der Fallschirmjägereinheiten, General Aschalow, zum ersten Mal Zahlen über die in Litauen eingesetzten Spezialtruppen. Demnach befinden sich 1.000 Fallschirmjäger auf litauischem Territorium. Die Fallschirmjäger wurden dem Kommando der litauischen Wehrerfassungszentrale unterstellt.

Bereits am Dienstag hatte die zurückgetretene Premierministerin Litauens, Kazimiera Prunskiene, im Kreml mit Gorbatschow über eine Beilegung des Konfliktes gesprochen, der die Klärung jedoch auf die Sitzung des Föderationsrates am Sonnabend verwiesen hat. Gestern kamen der Premierminister Estlands, Edgar Savisaar, und der sowjetische Verteidigungsminister Dimitrij Jasow überein, eine gemeinsame Kommission in dieser Angelegenheit zu gründen. Doch äußerte sich der estnische Premier, der in der nördlichsten baltischen Republik unter ähnlichem Beschuß nationalistischer Kräfte steht wie seine ehemalige litauische Amtskollegin, sehr zurückhaltend über die Erfolgsaussichten des neuen Gremiums: „Ich glaube nicht, daß die Kommission leichte Arbeit haben wird. Es bestehen zu große Unterschiede zwischen uns.“

Indes hat das Kommando der sowjetischen Truppen, wohl um die Glaubwürdigkeit ihrer rein „ordnungserhaltenden“ Aufgabe zu unterstreichen, die rund um strategisch wichtige Punkte in der litauischen Hauptstadt postierten Einheiten abgezogen. Allerdings wollte er nicht ausschließen, daß beim Eintreiben der Verweigerer Gewalt angewendet werden könnte.

Auch in Georgien zeichnet sich eine weitere Lageverschärfung ab. Das Parlament der Republik lehnte es ab, dem Dekret Gorbatschows Folge zu leisten, der die georgische Führung ultimativ aufgefordert hatte, alle bewaffneten Truppen von dem Territorium des vormals autonomen Gebietes „Südossetien“ abzuziehen und dessen Autonomie wiederherzustellen. Das georgische Parlament hatte im September den autonomen Status Ossetiens aufgehoben. Südossetien strebt eine Vereinigung mit dem auf russischem Gebiet liegenden Nordossetien an. Das Parlament begründete seine Ablehnung mit der „künstlich geschaffenen nationalstaatlichen Autonomie“ Ossetiens, die erst nach der „Okkupation Georgiens im Jahre 1921“ entstanden sei. Seither habe es dort immer wieder nationale Unruhen gegeben. Um Konflikte zwischen Osseten und Georgiern zu vermeiden, befinden sich auch dort Truppen des Innenministeriums. In dem Dekret hatte Gorbatschow auch die Osseten aufgefordert, die Bestrebungen nach einem vereinigten Nord- und Südossetien aufzugeben. Aus Protest dagegen traten zwölf Osseten in der Stadt Gori in einen Hungerstreik.

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