: Gorbatschow ist betont optimistisch
■ Sechs Wochen vor dem Kongreß der KPDSU plädiert Gorbatschow, das gesamte Volk solle sich bei der Auswahl der Delegierten engagieren / Sacharow in der sowjetischen Presse erstmals lebend erwähnt
Berlin (ap/taz) - Am Dienstag hat Michail Gorbatschow vor Vertretern der Massenmedien optimistische Töne über den Fortgang der Perestroika angeschlagen. Es sei gelungen, die Demokratie und die Offenheit in der Gesellschaft zu erweitern, wenn es auch immer noch große Widerstände gegen den neuen Kurs gebe. Dieser „Konservativismus“ bestehe vor allem im „Dogmatismus des Denkens“, in den gewohnten „Klischees“ und in der „Angst vor dem Neuen“ sowie „eigennützigen Interessen“. Auf die Auswahl der Delegierten zum Parteikongress Ende Juni eingehend forderte Gorbatschow eine Teilnahme des gesamten Volkes. Die Kandidaten sollten von „Vertretern der Parteiorganisationen, der Arbeitskollektive, der Stadtbezirks– und Stadtparteikomitees“ gewählt werden. Lobend hob er hervor, daß einige Komitees die „Kandidatenvorschläge in der örtlichen Presse“ verbreiteten, bevor eine Entschließung ergehe.Ähnlich hatte sich Gorbatschow gegenüber dem SPD–Vorsitzenden Vogel geäußert, dem gegenüber er sich auch besorgt zeigte, daß der Abrüstungsprozeß im Westen nicht mit dem gleichen Ernst verfolgt würde wie in der UdSSR. Erstmals wurde Andrej Sacharow in der sowjetischen Presse lobend erwähnt. In der letzten Ausgabe der Moscow News sieht der Verfasser in Sacharow einen Vorläufer der heutigen Reformideen: „Heute kann man eindeutige Parallelen ziehen zwischen dem, was er damals sagte, und den Ideen, die wir heute vertreten.“ Dagegen bezeichnete die sowjetische Nachrichtenagentur TASS die sowjetischen Bürgerrechtler, die am Wochenende die Gründung einer „oppositionellen Partei“ beschlossen hatten, als „eingefleischte Lügner“, die „verleumderischen und antisozialen Tätigkeiten“ nachgingen. Die Erklärung der Gruppe verstoße eindeutig gegen die sowjetische Verfassung. Unter anderem rufe sie zur Abschaffung des Systems der Sowjets als einer Form der Staatsmacht auf. Der Gruppe war es gelungen, eine dreitägige Konferenz mit der Gründung einer „Demokratischen Union“ abzuschließen, die für ein Mehrparteiensystem in der UdSSR eintritt. PORTRAIT
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