: Gorbatschow droht den Esten
■ KPdSU-Chef besteht auf der verstärkten Zentralisierung in der neuen Verfassung
Moskau (afp/taz) - Die Parteiführung Estlands ist einen Tag vor der Entscheidung über die geplante Verfassungsreform ungeachtet der Drohungen Gorbatschows auf Kollisionskurs gegen Moskau gegangen. Estlands Kommunisten hatten Mitte November eine Souveränitätserklärung beschlossen, die am Samstag vom Präsidium des Obersten Sowjets für nichtig erklärt worden war. Diesem Beschluß vom Wochenende widersprach die estnische Partei gestern.
Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow hatte durch seine im Fernsehen übertragene Absage an nationalistische Unabhängigkeitsbestrebungen einzelner Sowjetrepubliken erneut seine Entschlossenheit gezeigt, die Verfassungsreform in jedem Falle durchzudrücken. Den Befürchtungen der baltischen Republiken, die am Dienstag zur Abstimmung stehenden Reformen würden durch eine Erhöhung der Zentralgewalt des Staatschefs in Moskau die Eigenständigkeit der Republiken beschneiden, setzte Gorbatschow warnend entgegen, eine Herausforderung dieser Zentralgewalt werde nicht geduldet. Am Montag morgen traf sich in Moskau das Plenum des Zentralkomitees der KPdSU, um letzte Hand an den Reformtext zu legen.
Auch in der georgischen Hauptstadt Tiflis brachten am Montag wieder weite Teile der Bevölkerung ihren Unmut über die geplanten Verfassungsreformen zum Ausdruck, berichtete ein Journalist der amtlichen georgischen Presseagentur auf Anfrage. Laut 'Tass‘ hat das Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR angeordnet, daß der Verfassungsänderungsentwurf zur Neuordnung der Rechte der 15 Sowjetrepubliken überarbeitet wird. Der bisher vorgeschlagene Text ist vor allem in den drei baltischen Republiken und Georgien wegen der darin vorgesehenen Stärkung der Zentralgewalt Moskaus auf Widerspruch gestoßen.
In der aserbeidjanischen Hauptstadt Baku haben sich am Montag wieder rund 100.000 Menschen versammelt, um gegen eine Ausgliederung der mehrheitlich von Armeniern bewohnten Enklave Nagorny-(Berg)-Karabach zu demonstrieren. Der Sprecher des Außenministeriums der Unionsrepublik, Moucha Mamedow, teilte mit, einige Unternehmen würden bestreikt, der Verkehr funktioniere aber normal. Auch die Lage in der Stadt Kirowabad, wo es vergangene Woche zu blutigen Ausschreitungen moslemischer Aseris gegen christliche Armenier gekommen war, ist dem Sprecher zufolge wieder ruhig. Regierungstruppen hätten die Stadt, in der seit einigen Tagen eine Ausgangssperre gilt, „unter Kontrolle“.
Laut dem Außenamtssprecher in Baku haben sich „Tausende“ in Armenien lebender Aseris nach Aserbeidjan geflüchtet, nachdem 80 Häuser der Bevölkerungsgruppe in Armenien in Brand gesteckt worden seien.
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