Golf-Profi Martin Kaymer: Der authentische Jung-Buddha
Mit der Karriere des Golfers Martin Kaymer geht es steil bergauf. Der 25-Jährige aber bleibt gelassen. Nun ist er erstmals beim renommierten Ryder Cup dabei.
BERLIN taz | Am vergangenen Sonntag, einen Tag vor der Abreise zum Ryder Cup, dem weltweit wichtigsten Golfereignis des Jahres: Ein Hobbyspieler müht sich auf der Übungswiese des Golfclubs Hummelbachaue in Neuss um Treffsicherheit und wundert sich, wer neben ihm die Bälle so akkurat und märchenhaft weit prügelt. Tatsächlich, Martin Kaymer, der deutsche Shootingstar. "Der hat seine Bälle geschlagen und niemanden interessierts - keine Autogrammjäger, keine Presse, keine Bodyguards." Kaymer habe "die Trainer sehr nett begrüßt und ist ohne Aufsehen zu seiner Abschlagmatte gewandert". Fazit des staunenden Übungsnachbarn: "So kann ein Starleben auch aussehen. Der Typ ist ja völlig unprätentiös."
Martin Kaymer, 25, ist keiner fürs Publikum, keiner für die Show. Stoisch und hochkonzentriert spielt er seine Runden. Höflich und verbindlich wirkt der Umgang mit ihm, intelligent ist er, immer nahbar, und gelassen wie ein Jung-Buddha. Extravaganzen? Unbekannt.
Manchmal meint man, der Weltranglistensechste würde am liebsten unsichtbar seine Runden spielen. Doch das gehört auch zur Strategie: Beim sensationellen Major-Sieg im August, seinem größten Triumph, lief er am Schlusstag in introvertiertem Mausgrau über den Platz. Tiger Woods trug an Finaltagen meist feuerrot. Botschaft: Hier kommt der Sieger, nehmt mich wahr. Kaymer gewinnt aus dem Nichts. Und selbst sein Jubel danach war reserviert, freudig kühl, fast asketisch.
Jetzt ist Martin Kaymer erstmals beim Ryder Cup dabei, dem prestigeprallen Kontinentalduell USA gegen Europa in Newport/Wales. Ein Teamwettkampf zwölf gegen zwölf (1.-3.10, live auf sky.de). "Ryder Cup ist wie Fußball", sagt der ehemalige Jugendauswahlkicker von Fortuna Düsseldorf , "es gibt keine Veranstaltung mit so viel Leidenschaft." Kaymer spricht von der Ehre, dem Thrill, dem Lebenstraum.
Kaymers Profikarriere, die erst 2007 begann, ist ein einziger Steilpfad bergauf. Schon 2006 hatte er mal eine 59er Runde gespielt, die jungen Mitspieler fielen danach am 18. Loch demonstrativ auf die Knie. Eine 59 ist wie sechs Tore in einem Bundesligaspiel. Nur zwei Spieler waren jemals besser. "Martin ist ungeheuer aufnahme- und lernfähig", sagt sein Trainer Günter Kessler, "er saugt Informationen wie ein Schwamm auf und macht selten einen Fehler noch einmal." Kaum einer sei beim Üben so zielstrebig und extrem fokussiert.
Kaymer hat sehr spezifische Wales-Erfahrungen. Der Ryder-Cup-Platz Celtic Manor im Juni, die Wales Open, Tag 2 an Loch 3, ein Par 3 von schlanken 170 Metern Länge. Normalerweise spielt man hier eine 3. Kaymer schlägt ab: Grünkante, der Ball rollt ins seichte Wasser. Kaymer zieht schon Schuhe und Socken aus. Risiko! Aus dem Wasser prügeln! Der Caddie rät ab. Debatte. Kaymer geht, wieder bekleidet, zurück und schlägt ins gleiche Nass. Mit je einem Strafschlag also 4. Der 5. Schlag gelingt ins Vorgrün, der Chip wird etwas lang, Rückputt vorbei, dann endlich drin. Eine 8 an einem Par 3. Eine 8! Dafür würde sich jeder Hobbygolfer schämen. Einer rief ihm zu: "Come on, Martin, jetzt nur ein paar Birdies, dann wird das wieder." Kaymer guckte kurz sauertöpfisch zurück, vielleicht stand er auch vor der Explosion. Dann ging er weiter, und die Birdies kamen.
Nach seinem Major-Sieg im August meinte Martin Kaymer: "Ich will nicht, dass sich mein Leben jetzt ändert. Denn ich mag mein Leben sehr." Und entschwand mit der Liebsten blauäugig zu einem dreiwöchigen Karibik-Urlaub. Nach einer Woche musste er allerdings schon zurück. Sein Management hatte ihn zurückbeordert wegen einer Flut von Sponsorenterminen, dazu der Medienhype; Geschäftskunden standen Schlange.
Derzeit überlegt Martin Kaymer, seinen Schwerpunkt auf die mühsamere, gleichwohl lukrativere US-Tour zu legen. Das würde ihn mehr fordern, allerdings wäre er dann weniger daheim unterwegs. In den USA wird er respektiert, aber verzückt nicht eben. Kaymer muss sich schon rechtfertigen: "Ich bin kein langweiliger Deutscher. Ich mache nur keine verrückten Sachen." Ein Kühlschrank auf dem Golfplatz? "Manche flippen aus, bei mir ist es anders. Schläger schmeißen ist nicht so mein Ding. Ich möchte keine Show abziehen. So bin ich nicht. Für mich ist wichtig, dass ich authentisch bleibe."
Dabei kann der so korrekt und stets versammelt wirkende Mann auch durchaus anders. Im Juni während der Fußball-WM, eine Stunde vor dem Spiel Deutschland - England, spielte er in München seine letzte Bahn im DFB-Nationaltrikot. Das sorgte für große Gaudi, brachte ihm aber eine offizielle Verwarnung der Golftour-Bürokraten ein wegen Verstoß gegen die Kleidungsvorschriften (und das Turnier gewann trotzdem ein Engländer). "Den Gentlemansport" nennt Kaymer seine Sportart, "Golf ist mein Leben, meine Leidenschaft, meine Liebe."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“