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■ Goldwörterbuch: Unendliche Leidensgeschichte beendetIrgendwie nur Glück und Zufall?

Langenscheid (taz) – Es war am vergangenen Freitag. Treffpunkt Friedhof des Dörfleins Langenscheid an der Lahn. Autos aus Aachen, Wiesbaden, Essen, Passau, Bayreuth sind herangerollt: Die RaterInnen sind wieder da – auf der Suche nach dem mysteriösen 50.000-Mark-Goldwörterbuch des Münchner Langenscheidt-Verlages. Seit April hecheln sie sich durch absurde Aufgaben, falsche Fährten, Bahn- und Fußstrecken. Das „Goldene Buch“ hat noch niemand gefunden.

Am Morgen war nach stetig gewachsenem Frust wieder Hoffnung aufgekommen: Es gab neue Tips von der Hotline, und diesmal wirkten sie wirklich massiv und mutmachend. Die Hotline war eingerichtet worden, seit klar war, daß das Rätsel, weil abenteuerlich falsch konzipiert, ohne Tips „nicht lösbar war“, wie eine Verlagssprecherin zugibt.

Hier am Langenscheider Friedhof muß also „die Zwischenstation“ sein. Die Einheimischen werkeln ortsgemäß mit Stiefmütterchen und Gießkanne, die Schatzsucher stolpern zwischen den Gräbern umher, um bestimmte Initialen zu entziffern. Da!!! Alfons Künzler – ist das der gesuchte AK? Und da!!! Auguste Born – die mystische AB?! Jetzt laut Lösungssymbol zwischen den Gräbern durchgucken, eine „620“ identifizieren. Doch was ist 620? Einer hockt auf der Friedhofsmauer, das Fernglas vor Augen, einer steht auf dem Grab der armen Auguste selig. Dann der Schock. Astrid und Michael aus Wiesbaden kommen vom Versuchsgraben aus den Tiefen der Wälder zurück mit einen Zettel, der in einem Joghurtglas gesteckt habe: „Zu spät. Der Schatz ist mir. Ihr werdet ihn nie wieder sehen.“ Sofort ein empörter Anruf im Verlag, dann bei Rätselmacher MZ. Detaillierte Beschreibung der Fundstelle; Ergebnis: Nein, da sei der Schatz nicht vergraben worden. Neues Rätsel: Wie kann einer genau da die Zettellüge verscharren, wo irgendwann später ein anderer gräbt? Zufall? Der gleiche Fehler?

Die wenigen verbliebenen Rater kennen sich mittlerweile. Der Zusammenschluß wird diskutiert. Motto: Alle zusammen gegen einen, gegen diesen Rätselteufel MZ und den Folterverlag mit seinem Rätsel-Experiment. „Es ist so peinlich“, sagt einer, „wir werden mit den Hotline-Tips jeden Freitag wie ein Ochse am Nasenring durch die Gegend geschleift.“ Aber aufhören? „Wir haben“, formuliert Astrid das Problem aller, „den richtigen Zeitpunkt längst versäumt. Man muß ja das letzte halbe Jahr irgendwie rechtfertigen. Und sei es vor sich selbst.“ Das Wiesbadener Pärchen ist zum 15. Mal in Langenscheid.

Die Dorfbevölkerung kennt die Idiotenscharen mit den geschulterten Spaten längst. Die Kommentare sind hämisch. Am Kiosk: „Na, immer noch nichts gefunden? Dann bis nächstes Wochenende ...“ Der Unterzeichnende brütete gerade über einer Meßtischkarte der Gegend, als eine Schülerin ihn spöttisch fragte, ob er etwas Bestimmtes suche, ob sie helfen könne. Um augenblicklich laut kichernd mit einer Freundin abzuziehen. Wenn die Anwohner erst mal wüßten, warum Herbert aus Passau seine Hand in Gips hat: Vor zwei Wochen hatte er erstmals den Klappspaten rausgeholt und – klapp – war der Mittelfinger gebrochen. Nach langen Wanderungen – ein warum auch immer sehr verlockendes Waldstück sieht von hektischen Grabeversuchen schon aus wie ein Schweizer Käse – stehen sie abends alle wieder erfolglos am Friedhof. Wenn jetzt das Gerücht aufkäme, die „Zwischenstation“ sei in Wahrheit die Endstation, keine Frage, alle würden augenblicklich über die Mauer steigen und Grab für Grab umwühlen. Auguste selig, verzeih: Denn in ihrer Ratlosigkeit wissen sie langsam nicht mehr, was noch tun.

Erneut frustriert fahren alle wieder nach Hause. Astrid und Michael sind jedoch, weil sie zufällig nur eine gute halbe Stunde entfernt wohnen, Tags drauf schon wieder da. Und am Sonntag. Und am Montag. Und da bringt der schätzungsweise 273. Spatenstich Erfolg: Direkt unter einem Hochstand kommt ein silbernes Kistchen zum Vorschein. „Es war“, so Michael gestern, „irgendwie nur noch viel Glück und Zufall. Gerade hier hatten wir tags zuvor die Erde schon ganz schön perforiert.“ Die Schatzroutensymbole seien schon „zum Teil sehr weit hergeholt“ gewesen. „Und“, so der Schatzmeister, „ich weiß nicht, ob wir ohne den Hubschrauberpiloten bis heute überhaupt Langenscheid als Zielort wüßten.“ Der Hubschrauberpilot hatte das Team der Schatzvergräber im April hierhin geflogen. Und er war bald geoutet worden. Damit war zwar noch lange nicht der Schatz selbst gefunden, aber Michael (eine legitime Quelle) wußte, wie manche andere auch, vom Ort Langenscheid als Langenscheidt-Ort.

So war das Goldrätsel zum „Pilotenspiel“ geworden. Aber dies war nicht die einzige Panne. Da gab es hochpeinliche Rechtschreibfehler, schlampige, aber verwirrende Merkwürdigkeiten im Druck, höchst fragwürdige Aufgaben und unverschämterweise eine absichtlich unlösbare (Armstrongs Mondschritteanzahl) sowie Koordinationsmängel und falsche Versprechungen im Verlag (taz 27.7.). Dort ist man ebenfalls heilfroh, daß alles vorbei ist.

Endlich ist alles vorbei – und eine kann ganz besonders glücklich sein: Auguste Born selig hat die ewige Ruhe wiedergefunden. Bernd Müllender

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