: Golden Girls
Looping mit dem Treppenlift: Altern muss lustig sein, oder wir schauen weg. Die Ausstellung „Ein Leben lang“, die heute in der NGBK eröffnet, beschäftigt sich dagegen mit Falten und Runzeln
VON TIM ACKERMANN
Fröhlich haut sie auf die Trommel, die grauhaarige Dame im Video von Lenka Clayton und James Price. Nach ihrer Musikeinlage wendet sich die jung gebliebene Alte an den Betrachter. „Ich bin hundert“, sagt sie, „war’s das schon?“
So sind sie, unsere Senioren. Sie nennen sich „Best Ager“, „Silver Ager“ oder „Golden Girls“. Die Werbung hat sie als lukrative Zielgruppe entdeckt, die Politik spricht vom demografischen Wandel, nur die Kunst schien sich immer faltenfrei zu geben. Und präsentierte uns Bilder kraftstrotzender Twentysomethings. „Ich glaube gar nicht, dass das Alter für Künstler und besonders für Maler ein Randthema ist“, entgegnet Simon Marschke, Mitglied einer Projektgruppe der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), die sich intensiv mit dem Bild alter Menschen in der Kunst beschäftigt hat. Ein künstlerischer Blick auf den sozialen Prozess des Alterns sei aber immer noch selten, so Marschke.
Exakt diese Lücke füllt jetzt „Ein Leben lang“: Die aktuelle Ausstellung in der NGBK entführt den Besucher in die Realität des Seniorenalltags – in die Welt der Runzeln, Gedächtnisaussetzer und Treppenlifte. Baldur Burwitz zeigt, dass ein solcher Ausflug durchaus seine lustigen Seiten haben kann. Im Ausstellungsraum hat er einen Treppenlift installiert, dessen Schiene einen waghalsigen Looping vollführt. Eine schöne und auch ein wenig gemeine Vorstellung, dass die „Best Ager“ demnächst juchzend und über Kopf durch die Etagen ihrer Wohnhäuser gleiten.
Die Alten lassen sich eben nicht den Spaß verderben. Das ist eine Botschaft, die auch in den Fotografien von Peter Granser überdeutlich ins Auge springt. Der Fotograf hat vor einigen Jahren das amerikanische Sun City besucht und das Leben der Menschen dort dokumentiert. Sun City ist eine gated community, ein selbst gewähltes Seniorenghetto, das von Sicherheitskräften bewacht wird und das jüngere Besucher nur mit einem Passierschein betreten dürften.
Hier, in ihren identischen Bungalows mit ihren identischen Garagen und den sauber geharkten Kieswegen, sind sie endlich unter sich – die grauhaarigen Jungspunde, die einfach nicht alt werden wollen. Während sich „Golden Girls“ im kurzen Röckchen zur Showtanztruppe formieren, werden andernorts im Garten junge Palmen gepflanzt. Als ob man das ganze Leben noch vor sich hätte.
Alt und nackt
Natürlich ist es großartig, wenn Rentner lange rege bleiben. Der Jugendwahn der Alten hat allerdings auch seine Schattenseite. „Die Werbung suggeriert den Senioren, dass sie unbedingt fit und produktiv bleiben müssen. Da wird ein enormer Druck aufgebaut“, sagt Raluca Blidar von der NGBK-Projektgruppe. „Individuelles Altern und insbesondere Müßiggang scheinen gar nicht mehr zulässig.“
Vor allem das realistische Abbild nackter, alter Körper gehört zu den gesellschaftlichen Tabubereichen: den Dingen, die alle am liebsten aus dem Gedächtnis verdrängen. Donigan Cummings Fotos von seinem 80-jährigen Modell sind ein gezielter Akt der Enttabuisierung, der durch die Strategie des kontrollierten Zurschaustellens an die feministische Body-Art oder an verschiedene Bereiche der postkolonialen Kunst erinnert.
Im Unterschied zu diesen emanzipativ-selbstrepräsentativen Strömungen treten in der „Altenkunst“ die Senioren allerdings eher selten als Autoren der Werke auf. Auch in „Ein Leben lang“ bildet ein Künstler wie John Coplans, der seinen runzligen Po schon seit Jahren in die Kamera hält, die Ausnahme. Die Darstellungen der „Best Ager“ sind meistens Arbeiten erheblich jüngerer Künstler, mit allen Problematiken, die solche Fremdrepräsentationen mit sich bringen.
Unkomplizierter als solche dokumentarischen Ansätze sind jene Arbeiten zu rezipieren, die eine stark fiktive Komponente aufweisen: Annegret Soltaus Fotomontagen entstehen, indem die Künstlerin Aufnahmen ihres eigenen Körpers mit Bildern ihrer Mutter und ihrer Tochter vernäht. Im Zeitalter der Kleinfamilie hat dieser Verweis auf die emotionalen Verknüpfungen zwischen den Generationen schon etwas Utopisches. Andererseits verweisen die vernähten „Narben“ in Soltaus Werken sehr konkret auf die zunehmende Zahl der Schönheitsoperationen. Auch bei der „Generation 50 plus“.
Wenn sich schon nicht das Alter manipulieren lässt, dann doch zumindest das Aussehen. Das zeigt auch Miwa Yanagi, die jungen Frauen vier bis fünf zusätzliche Dekaden ins Gesicht schminkt und die künstlich Gealterten dann nach ihren Vorstellungen vom eigenen Lebensabend befragt. Auf einem Foto brütet eine greise Künstlerin über einem jugendlichen Torso, den sie auf ihren Knien balanciert. Ganz offensichtlich hängt sie Gedanken über ihre eigene verflogene Schönheit nach. Es ist der melancholischste Moment einer Ausstellung, die zum großen Teil zufriedene und kämpferische alt gewordene Menschen zeigt. So wie die trommelnde Hundertjährige aus dem Video von Clayton und Price.
Bis 31. August in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, tägl. 12–18.30 Uhr