: Goethe, Schiller – Neonazi
AUS LEINEFELDE ASTRID GEISLER
Als kampferprobten Neonazi mit Vorstrafenregister und Knasterfahrung würde man diesen jungen Mann nicht erkennen: Er trägt einen grauen Anzug, ein blaues Hemd, eine dezent gestreifte Krawatte. „Wissen Sie, das Alter macht doch auch milde“, sagt er in die Mikrofone der Kamerateams, die ihn umringen, und klimpert dabei lässig mit Kleingeld in der Hosentasche. „Ich bin inzwischen sogar Familienvater geworden.“ Der Mann heißt Thorsten Heise und ist einer der bekanntesten deutschen Neonazis. Sein gebügeltes Auftreten beim NPD-Bundesparteitag im thüringischen Leinefelde ist kein Zufall. Der 35-Jährige betreibt seit zwei Jahren im nahe gelegenen Fretterode einen Großhandel für CDs mit einschlägigem Liedgut und ist vor einigen Wochen der NPD beigetreten. Nun soll der Kameradschaftsaktivist als Beisitzer im Bundesvorstand die militante Neonazi-Szene an die Partei binden – und so der neuen Strategie der „Volksfront von rechts“ zum Erfolg verhelfen.
Der Neonazi-Führer scheint die Rolle als Jungpolitiker mit Vergnügen zu spielen. Ausgesucht höflich und durchaus schlagfertig antwortet er. Seine Vorbilder? „Große Persönlichkeiten der deutschen Geschichte und große Europäer.“ Wen er damit meine? „Kopernikus, Goethe, Schiller“, sagt Heise und setzt ein breites Grinsen auf. Hat er das nicht gut gemacht? Tatsächlich. Beinahe hätte man vor lauter Harmlosigkeiten überhört, dass er sich selbst im Nebensatz mal eben als „nationalen Volkssozialisten“ bezeichnet.
NPD-Chef Udo Voigt ist zweifellos zufrieden mit Heises Darbietung. Denn genau diese Botschaft soll vom ersten Bundesparteitag der NPD nach den Wahlerfolgen im Saarland und in Sachsen ausgehen: Seht her, die Partei hat mit den „Freien Kameradschaften“ und der DVU erstklassige neue Verbündete gewonnen; kein Wähler muss sich vor irgendwem aus dieser „Volksfront“ fürchten; alles läuft demokratisch, gesittet und absolut harmonisch ab; nach Jahren der Erfolglosigkeit steht dem bundesweiten Durchbruch der Rechtsextremen nichts mehr im Weg.
Damit das gewünschte Bild des Parteitags in der Leinefelder Sporthalle auch ankommt draußen beim Wahlvolk, hat sich die Parteiführung einiges einfallen lassen. Die Einfälle betreffen vor allem die angereisten Journalisten. Wie formuliert es NPD-Chef Voigt in seiner gut zweistündigen Jubelrede: „Kameraden“, ruft er den 160 Delegierten und 200 Gästen in der Halle zu, die NPD müsse sich als „demokratische Partei“ konsequent gegen die „perfiden Methoden der Medienmafia“ verteidigen. Während der zweitägigen Parteiversammlung ist der „Medienmafia“ deshalb fast alles verboten. Sie darf von einer abgesperrten Tribüne aus den Eröffnungs- und Schlussreden der NPD-Offiziellen und einiger Gastredner lauschen und sich derweil von einem Nachwuchsnationalen mit „JN Extremo“-Aufdruck auf dem Kapuzenshirt mit einer Digitalkamera filmen lassen. Rechtzeitig vor den Vorstandswahlen und der Aussprache über den Kurs der Partei fliegt die Presse raus.
Spontane Fragen an den Parteinachwuchs sind unerwünscht, genau wie eigenmächtige Gespräche mit Delegierten oder Gästen. Kein Reporter darf den neuen Vorzeigekameraden Heise einfach im Saal aufsuchen, wo er an einem Gästetisch Platz hat. Nur dann und wann lotst der Pressesprecher handverlesene Kameraden auf den Gang vor die Kameras. Wer sich nicht an die Regeln hält, dem rücken junge Männer mit „Ordner“-Binde am Oberarm auf die Pelle. Deren Kommandos klingen zum Beispiel so: „Abmarsch jetzt! Draußen warten gewiss viele hübsche junge Herren auf Sie!“
Zweifellos gäbe es viel zu sehen und zu hören auf diesem Parteitag außer den kraftprotzenden Jubelreden der Parteiführung: Wie läuft die Neuwahl des 20-köpfigen Vorstands ab? Was halten die Kader aus der Provinz von der umstrittenen neuen Bündnisstrategie mit DVU und freien Kameradschaften, die der Vorstand über ihre Köpfe hinweg beschlossen hat? Und schwärmt Neonazi Heise vor den eigenen Leuten auch nur von Goethe und Schiller?
Blickt man von der Pressetribüne zu den Delegierten- und Gästetischen im Saal, dann ahnt man, warum die Parteispitze die eigenen Leute wegsperrt, sobald es ernst wird. Die Avantgarde der NPD bietet vieles – nur nicht das gewünschte Bild der Professionalität und Geschlossenheit. Da sitzen weißhaarige Herrschaften mit großen Hornbrillen neben bulligen Glatzköpfen im Skin-Outfit, Straßenkämpfertypen mit Runenketten zwischen jung-dynamischen Anzugträgern und gestriegelten Lodenjackenträgern. Ganz zu schweigen vom Nachwuchs auf der Seitentribüne: nackte Schädel, breite Schultern, großflächige Tätowierungen, Bomberjacken, Militärhosen – so stellt man sich die Prügelelite zur Reinhaltung „nationalbefreiter Zonen“ vor, aber nicht die Wahlkampfhelfer der Zukunft.
Während der NPD-Nachwuchs brav das Redeverbot einhält, tun sich ältere Kader schwer mit dem Maulkorb. Kameraden wie der Helmstedter Stadtrat Ulrich Preuß („Preuß mit SZ, denn SS ist ja verboten!“) oder wie Ex-NPD-Chef Günther Deckert. Deckert gehört zu jenen in der Partei, die nichts halten vom neuen Kuschelkurs mit den militanten Kameradschaften. „Mit denen“, schimpft er in der Eingangshalle vor dem Saal, „setzt sich die NPD nur selbst Läuse in den Pelz.“ Viele Kameradschaftsführer seien sich untereinander nicht grün, die Kameraden zum Teil kriminell. Wenn die Presse nur deren Füße filme, warnt der Alt-NPDler, werde das ausreichen, um wichtige Wählerschichten zu verschrecken. Den Parteifreunden entgeht die Redefreudigkeit des Seniors nicht. „Dass der Deckert Interviews gibt, ist das genehmigt?“, zischt eine Delegierte dem Pressesprecher zu. Der zuckt mit den Achseln.
Wo schon die Disziplin einiger Kader zu wünschen übrig lässt, muss sich die NPD wenigstens nicht mit aufgebrachten Bürgern aus Leinefelde und Umgebung herumschlagen. Kaum hundert Demonstranten sind zur „Obereichsfeldhalle“ gekommen, ein Teil der NPD-Gegner hat eine weite Anreise hinter sich. Die Demonstranten müssen hinter Absperrgittern der Polizei ausharren. Zur Mahnwache am Samstagmorgen im Stadtzentrum findet sich nur ein Häuflein ein, es fällt kaum auf zwischen den Polizeitrupps. Einige Demonstranten ziehen am Sonntagnachmittag mit Trillerpfeifen durchs Stadtzentrum, allein die Polizei zeigt daran offenes Interesse. Und von den Protestplakaten einer Bürgerinitiative hängt schon zum Beginn des Parteitags kaum mehr eines. Nicht etwa, weil Neonazis die Stadt gesäubert hätten. Nein, Leinefelde erledigte das selbst, bestätigt der CDU-Bürgermeister Gerd Reinhardt. Schließlich habe diese Initiative die Vereinbarung verletzt, ihre Plakate nur an Litfasssäulen zu kleben. „Weiter nichts.“
Kritik muss der Bürgermeister nicht befürchten. Leinefelde ist erzkonservativ und so katholisch, dass man sich einreden kann, selbst der herbstliche Morgennebel rieche nach Weihrauch. Hier wählt man CDU, außer zum Kirmesumzug und zu Fronleichnam geht kaum einer auf die Straße. Bürgermeister Reinhardt unterstützt diese Haltung auch im Umgang mit der NPD. „Wir sind hier im christlich geprägten Eichsfeld“, sagt er. „Die Leute wollen keine Aufmärsche, sie bevorzugen den stillen Protest.“
Der NPD hat dieser heimliche Widerstand keine Probleme bereitet. Bevor die Delegierten die dritte Strophe des Deutschlandliedes anstimmen, tritt NPD-Chef Voigt am Schluss noch einmal ans Rednerpult. Er ist in Siegerlaune. Mit 86,6 Prozent der Stimmen ist er wiedergewählt, auch für Thorsten Heise, den Neonazi-Führer, haben immerhin knapp 65 Prozent der Delegierten votiert. „Wenn wir die Feinde Deutschlands vernichten wollen, haben alle Deutschen zusammenzustehen“, beschwört Voigt die Delegierten. „Es ist möglich, von ganz rechts bis wertkonservativ eine deutsche Volksfront zu schaffen.“
Und zum Beweis darf ein besonderer Gast das abschließende Grußwort halten: Gerhard Frey, Parteichef des neuen Bündnispartners DVU. Frey appelliert an die neuen Freunde von der NPD, sich den Pakt nicht von V-Leuten des Verfassungsschutzes oder von den Medien kaputtmachen zu lassen. Entscheidend sei, dass alle „den größtmöglichen Abstand zu Neonazis halten“. Der Applaus für diesen Hinweis ist verhalten. Verständlich. Immerhin haben die NPD-Delegierten vor einigen Stunden mit Heise einen prominenten Neonazi in ihren Vorstand gehievt. Aber selbst Heise klopft höflich mit der einer Hand auf den Tisch.