■ Glosse: High-noon in Potsdam: Stolpe muß es schaffen
Mann gegen Mann: Ministerpräsident Stolpe, der Hoffnungsträger für die Brandenburger, und der Stasi-Offizier Roßberg. Sie werden einander gegenübergestellt. Wer hat Stolpe seinerzeit die Verdienstmedaille der DDR überreicht? Seit Wochen wird darüber spekuliert. Nun muß die Wahrheit ans Licht: Vor dem Untersuchungsausschuß wird Stolpe aussagen, daß er sie vom damaligen Staatssekretär für Kirchenfragen, Hans Seigewasser (nun leider tot), erhalten hat, Roßberg wird dagegen behaupten, daß er selbst diese Handlung an Stolpe vollzogen habe.
Wer war's nun? Einer muß es genau wissen – oder auch beide –, aber einer von beiden wird etwas Falsches aussagen. Wer vor dem Ausschuß, und im Angesichts des Gegners, lügt, der sollte vom Blitz getroffen werden oder wenigstens einen Schluckauf bekommen. Wenn Roßberg lügt – wie tief kann die Stasi noch sinken? Und der Ehrenmann Stolpe? Sollte ein Kirchenjurist (mit dem Bischof im Nacken) und Ministerpräsident lügen oder sich der Lüge überführen lassen? Wer letzteres glaubt, der kennt Stolpe nicht. Kann man bei einer so klaren Fragestellung – Hat Seigewasser oder Roßberg ihm die Medaille angeheftet? – von Stolpe eine klare Antwort erwarten? Man kann.
Natürlich nicht so: Seigewasser habe sie ihm fast oder ein bißchen umgehängt oder er hätte sie ihm angeheftet, wenn es dazu gekommen wäre. Auch nicht so: Seigewasser habe sie ihm eigentlich oder im wesentlichen oder an sich überreicht. Nein, solche Verdrehungen und Wortspielereien darf man dem Stolpe nicht unterstellen. Eher sollte man von Stolpe folgende Antwort erwarten: Entweder – Er war sich ganz sicher, daß er die Medaille von Seigewasser bekommt und hat nicht mehr genau hingesehen, wer sie ihm tatsächlich anheftete. Oder – Im festen Glauben, daß es Seigewasser gewesen ist, habe er nur Seigewasser gesehen. Oder – Es war so dunkel im Zimmer, daß er sich ziemlich sicher gewesen war, daß es nur Seigewasser gewesen sein kann.
Vielleicht deuchte ihm auch, daß Seigewasser ihm (wir kennen es aus den antiken Sagen) in Gestalt Roßbergs erschienen war. Kurz: die Gegenüberstellung wird keine neuen Erkenntnisse bringen. Stolpe muß es einfach schaffen, wir vertrauen ihm. Guntolf Herzberg
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