: Glocken, Gongs, Glissandi
■ Oskar Sala ist letzte Woche achtzig Jahre alt geworden
Von Martin Supper
Richard Strauss ließ 1940 die Gongklänge zu seiner Japanischen Festmusik von ihm synthetisieren, der Dirigent Knappertsbusch 1954 die Parsifal-Glocken für Bayreuth, und 1962 entstand die gesamte Musik und Geräuschwelt zu Alfred Hitchcocks Thriller Die Vögel darauf. Die Rede ist nicht von einem Synthesizer (den ersten, von Robert Moog gebauten, gab es erst 1964), sondern vom 1930 entwickelten Trautonium und seinem heute weltweit einzigen Spieler, dem Komponisten Oskar Sala, der am 18. Juli achtzig Jahre alt wurde.
Die Geschichte des Trautoniums beginnt 1930. Damals behergte die Berliner Musikhochschule eine Rundfunkversuchsstelle, die damit beschäftigt war, neuartige, fürs Radio geeignete Musikinstrumente zu entwickeln. Durch die Professoren Paul Hindemith und Georg Schünemann unterstützt, entwickelte der dort arbeitende Ingenieur und Techniker Friedrich Trautwein ein elektrisches Musikinstrument, das nach ihm benannte Trautonium.
Die ersten Kompositionen für dieses Instrument waren die Triostücke für drei Trautonien von Hindemith. Innerhalb der Reihe „Neue Musik in Berlin“ war am 30.Juni 1930 die Uraufführung im Konzertsaal der Musikhochschule. Es war das erste „elektronische Konzert“ in dieser Reihe. Der Hindemithschüler Oskar Sala spielte neben Hindemith und Rudolph Schmidt eines der drei Trautonien bei der Uraufführung. 1931 hatte das Concertino für Trautonium und Streichorchester von Hindemith Premiere. Die Kritik beschrieb das Concertino als „ein einigermaßen locker gefügtes und jedenfalls sehr amüsantes Stück, bei dem das neue Instrument bald wie eine Gambe, bald wie irgendein riesenhaftes Baßblasinstrument klingt.“
Von Stund an beschäftigte sich Sala intensiv mit diesem Instrument, war oftmals mehr im Labor von Trautwein anzutreffen als in der Hindemith-Klasse.
Neben der neuartigen elektronischen Klangerzeugung war das Besondere am Trautonium die „Klaviatur“: Sie war keine mehr. Über einer Metallschiene wurde ein Draht gespannt, ähnlich der Saite eines Streichinstrumentes mit darunterliegendem Griffbrett. Wurde nun Metallsaite und Metallschiene durch Fingerdruck in Verbindung gebracht, erklang der seltsame Trautoniumklang. Die Lage des Fingers auf der Saite bestimmte die Tonhöhe. Durch erhöhten Druck auf die Metallschiene wurde der Klang lauter. Glissando und Vibrato waren wie auf einer Geige spielbar, Techniken also, die auf keinem heutigen Synthesizer möglich sind. Über die Saite des Trautoniums konnte auch eine Art von Hilfsklaviatur gelegt werden, die es ermöglichte, im bekannten Raster einer Klaviatur zu spielen.
Die eigentliche Klangerzeugung wurde über Kippschwinggeneratoren erreicht, die eine subharmonische Reihe aufbauten. Theoretische Grundlage war die von Trautwein entwickelte „Hall-Formanten-Theorie“. Über zwei Filter ließ sich der Klang stufenlos verändern.
Sala, der außer Komposition auch zehn Semester Physik studierte, entwickelte das Trautonium nach 1930 weiter. Bald schon entstand das zweimanualige Mixturtrautonium, das bis zum heutigen Tag das maßgebliche Instrument für Sala wurde. Für mehr als 300 Filme, vorwiegend Industriefilme, komponierte Sala die Musik und realisierte sie auf „seinem“ Instrument.
Eine vereinfachte Ausführung des Trautoniums, das „Volkstrautonium“, sollte von Telefunken 1933/34 in Serie gebaut werden. Es konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Auch gab es auf Anregung von Goebbels eine regelmäßige Kurzsendung beim Deutschlandsender: „Musik auf dem Trautonium.“ Beim Musikfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in Weimar wurde 1936 zum ersten Mal ein Konzert für Trautonium und Orchester gespielt. Harald Genzmer war der Komponist. Genzmers Konzert wurde mehr als zwanzig Mal aufgeführt, 1940 auch mit den Berliner Philharmonikern unter Carl Schuricht. Neben Sala war Harald Genzmer praktisch der einzige Komponist, der nach dem Krieg weiterhin für das Trautonium, beziehungsweise Mixturtrautonium komponierte.
Die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg kann als die Zeit der elektromechanischen und elektrischen Musikinstrumente genannt werden. Viele dieser Entwicklungen waren Eintagsfliegen, wie zum Beispiel der Neo-Bechsteinflügel, die Mager-Straube-Orgel und vieles, vieles mehr. Eines der bekannteren Instrumente war die Wurlitzer Orgel. Die zeitgenössischen Komponisten in Berlin interessierten sich jedoch vorzugsweise für das Trautonium. Strawinsky und Schönberg ließen es sich vorführen. Ähnliches Interesse erweckte bei den Neutönern lediglich das in Frankreich entwickelte Ondes Martenot, für das Olivier Messiaen heute noch komponiert. Nach dem Krieg entstanden die ersten Studios für elektroakustische Musik, die jedoch mit dem Vorkriegsinstrumentarium nichts mehr gemein hatten. Die Arbeitsweise dort entsprach mehr der eines Bildhauers in seinem Atelier, das Produkt war ein Tonband. Parallel dazu entstanden neue kompositorische Sprachen (Stockhausen, Nono, Boulez und andere). Oskar Sala blieb jedoch sich und seinem Mixturtrautonium treu.
1958 war es Sala möglich, ein eigenes Studio in Spandau zu errichten. Neben dem nun einzig existierenden Mixturtrautonium sind dort alle notwendigen technischen Geräte zu finden, die zur Filmvertonung und Filmsynchronisation vonnöten sind. Sala konnte es sich leisten, seine Filmmusiken ohne irgendwelche künstlerischen Einschränkungen zu realisieren. Die äußerst brillanten Effekte, die Sala auch heute noch virtuos auf seinem Instrument einsetzt, können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß er oftmals über rein illustratives Vertonen nicht hinausgekommen ist.
Die Schallplatte Electronic Kaleidoscope (Wergo SM 1040) und die soeben erschienene CD My Fascinating Instrument (Erdenklang 90340) geben einen guten Einblick in das Werk von Oskar Sala. Die bei Telefunken erschienenen Hindemith -Einspielungen müßten unbedingt wieder aufgelegt werden.
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