Globales Müllgeschäft fotografiert: Hirten der Apokalypse
Die Fotografen Pieter Hugo und Nyaba Leon Ouedraogo dokumentieren in einem Fotoband die Vergiftung der Armen. Schuld ist der Wohlstandsmüll der Reichen.
Ein ausrangierter Computerbildschirm wird zum Ärgernis, wenn er auf abgelegenen Parkplätzen, am Waldrand oder am Bahndamm abgelegt wird. Wozu gibt es schließlich städtische Entsorgungshöfe? Mit dem Altgerät geben wir auch unsere ökologische Verantwortung ab. Dabei werden nur 25 Prozent des Elektromülls korrekt wiederverwertet. Die Masse gelangt auf dubiosen Wegen nach Asien und Afrika, wo der Müll nachhaltig die Umwelt zerstört und die Gesundheit der Bewohner schädigt.
Die Problematik ist bekannt. Greenpeace berichtete 2008 über die Vergiftung der Armen durch den Wohlstandsmüll der Reichen. Jährlich fallen nach Schätzung der UN weltweit 50 Millionen Tonnen Elektromüll an. Zwar verbietet die Basler Konvention den Export von gefährlichen Abfällen, doch solange der Schrott als Gebrauchtware deklariert wird, floriert der Handel.
Über 400 Container treffen monatlich im Hafen von Tema in Ghana ein. Von dort gelangen sie in die Hauptstadt Accra und Slums wie Agbogbloshie. Funktierende Geräte kommen in den Wiederverkauf, der Rest wird ausgeschlachtet.
Keiner der vielen journalistischen Berichte hat zu einer besseren Ausfuhrkontrolle geführt oder die Hersteller zum Verzicht auf die Verarbeitung von gesundheitsschädlichen Materialien bewogen. Nun treten die Fotografen Pieter Hugo und Nyaba Leon Ouedraogo mit Bildern aus Agbogbloshie an die Kunst- und eine hoffentlich auch breitere Öffentlichkeit.
Statt auf einer grünen Weide stehen die Rinder in dem Sodom und Gomorrah genannten Slum inmitten einer Art Endzeitlandschaft. Dichter Rauch vernebelt den Blick, die schwarze Erde ist bis zum Horizont von Müll bedeckt. Überall brennen kleine Feuer, die mit alten Autoreifen und Dämmschaum angeheizt werden. Die Jungen, die hier täglich arbeiten, sind zwischen 11 und 18 Jahren alt, manche noch jünger.
An den Enden von langen Stöcken halten sie Kabelknäuel über die Flammen, um die Kunststoffisolierung abzubrennen. Sie arbeiten mit bloßen Händen, ohne Schutzmasken und ohne Schutzkleidung. Dass ihr Vorgehen giftige Dämpfe freisetzt, die Krebs hervorrufen können, ist ihnen nicht bewusst.
Zum Abkühlen, Erfrischen und Trinken greifen die Jungs zu abgefülltem Wasser, das Mädchen in Plastikbeuteln verkaufen. Als Werkzeuge verwenden sie herumliegende Steine, Holz- und Eisenstangen. Mit primitivster Technik zerlegen sie die Hinterlassenschaften der Informationskultur. Viel Arbeit für wenig Geld. Doch eine andere Möglichkeit, um Geld zu verdienen, haben diese Jugendlichen nicht.
Ihre T-Shirts sind dreckig und von Schweiß durchtränkt. Entkernte Monitore dienen ihnen als Körbe oder Sitzgelegenheiten. Ein improvisiertes Tor verrät, was den Jungen Spaß macht. Ein Fußballspiel hat indes weder Nyaba Leon Ouedraogo noch Pieter Hugo fotografiert. Warum eigentlich nicht? Weil bolzende Kinder vom Elend ablenken? Wohl kaum. Es sind zwei Seiten einer Medaille.
Während für Fotojournalisten entscheidend ist, in welchem Moment sie den Auslöser betätigen, sind die Bilder der Künstler offensichtlich komponiert, lediglich der Stil ist dokumentarisch. Besonders in den Arbeiten Pieter Hugos ist die Anlehnung an die Kunstgeschichte unverkennbar. Die Porträtierten stehen frontal, leicht seitlich gedreht zum Betrachter. Einige Jungen stützen sich Hirten gleich auf lange Holzstäbe. Nur ist die panoramaartige Landschaft im Hintergrund nicht lieblich.
Nyaba Leon Ouedraogo geht näher an die Abgebildeten ran und wählt Perspektiven, die Unmittelbarkeit vermitteln. Der schwarze Fotograf wurde 1978 in Burkina Faso geboren. Nachdem ein Unfall seine Karriere als Sportler beendete, zog er nach Paris und wandte sich dem Fotojournalismus zu. Seine "The Hell of Copper" betitelte Serie aus Agbogbloshie entstand 2008. In der Kunstwelt wurde Nyaba Leon Ouedraogo allerdings erst mit der Nominierung für den Fotokunstpreis Prix Pictet 2010 bekannt.
Der weiße Südafrikaner Pieter Hugo ist dagegen seit Veröffentlichung seiner Bilder von Hyänen und deren Besitzern fest in der Fotoszene etabliert. Er wurde 1976 geboren und gehört somit einer Generation an, die vom Kampf gegen das Apartheidsregime persönlich nur wenig mitbekommen hat. An der Dokumentation von singulären Ereignissen zeigt Pieter Hugo kein Interesse. Afrikas gesellschaftlicher Wandel erschließt sich auf seinen Bildern nur indirekt.
Früher war der Aggressor klar auszumachen. Der Staat agierte durch Polizei und Militär. Heute kämpfen die Menschen gegen einen unsichtbaren Unterdrücker. Gegen die Auswirkungen der globalisierten Marktwirtschaft sind sie chancenlos. Weil der Fehler im System steckt, nannte Pieter Hugo seine 2010 entstandene Serie über Agbogbloshie "Permanent Error". Sie wird jetzt als Bildband und in Ausstellungen präsentiert.
Ob es legitim ist, solche Motive in schicken Räumen auszustellen und damit Geld zu verdienen, ist ein altes Thema. Doch war es nie so müßig darüber zu diskutieren wie in diesem Fall. Denn selbstverständlich gehören die Bilder von Agbogbloshie an die Wand. Es geht um unseren Elektromüll. Permanent Error hat hier seine Ursache.
Pieter Hugo: "Permanent Error", Prestel Verlag, 128 Seiten, 39,95 Euro. Nyaba Leon Ouedraogo: "The Hell of Copper", www.topicsplatform.net
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