: Globale Möhren
Waren, Menschen und Geld rasen schneller denn je um den Globus – das erzählt Daniel Schwartz’ Band in Bildern besser als in Essays
VON ULRIKE WINKELMANN
Wie sieht Globalisierung aus? Schaut man sich den Fotoband „Geschichten von der Globalisierung“ an, dann ist es etwas, was die Globalisierungsgewinnler in der Mitte Europas nicht so häufig sehen: Menschen, die in irrwitzig schnell wachsenden Stadtkonglomeraten im südchinesischen Perlflussdelta leben und arbeiten. Kinder, die in Indien verlassen, verkauft und vergewaltigt werden. Aber auch junge Männer, die in Schwarzafrika Fußball und Taekwondo als Lieblingsbeschäftigung entdecken – und, solange sie Sport treiben jedenfalls, weder Drogen nehmen noch Bürgerkriege mitmachen.
Gesponsert vom Schweizer Außenministerium, sind im Auftrag des Zürcher Fotografen Daniel Schwartz zehn seiner Kolleginnen und Kollegen losgezogen und haben nach der „Globalisierung“ gesucht. Fast ausnahmslos ist es ihnen gelungen, Geschichten zu erzählen, die dem abgenutzten und mit falschem Pathos aufgeladenen Begriff „Globalisierung“ noch einmal Bedeutung verleihen.
Die in Italien ansässige Spanierin Cristina Nuñez macht die vielfarbig lebendige, aber auch anstrengend aufgeblasene Modewelt Norditaliens zum Gegenstand und stellt ihr Bilder von der süditalienischen Fälschungsindustrie gegenüber. Während in Mailand die berühmten Modehäuser die Jünger des Markenluxus zu Gast haben, werden irgendwo hinter Neapel, im Schatten des Vesuv, ihre Linien und Schnitte schon kopiert und von chinesischen Arbeiterinnen nachgenäht.
Der Waliser Philip Jones Griffiths, der schon vor dreißig Jahren den Krieg der USA in Vietnam fotografierte, war wieder dort und sah, dass die US-amerikanische Kultur zwar im nunmehr aufstrebenden Marktwirtschaftsland Fuß gefasst hat. Doch es sei „offenkundig, dass die Anbieter westlicher Güter den Kooperationswillen der Vietnamesen überschätzt haben“. Die Menschen begegneten den Versprechen des Konsums mit wachsender Skepsis. Viele US-Unternehmen zögen daher wieder ab, vermerkt Griffiths mit unverstellter Genugtuung. Vietnam sei „kein Tummelplatz für habgierige Unternehmer“.
Abgelichtet hat er Menschen, die sein Bild von Vietnam gleichsam nachstellen: Im Schatten gigantischer Werbetafeln schauen sie in ganz andere Richtungen, als die Slogans ihnen weisen. Selbst die jungen Frauen, die den Reklamedress der Warenwelt tragen, sehen gleichgültig und ein bisschen traurig aus, in Gedanken irgendwo. Mit Sicherheit jedoch denken sie nicht daran, ob sie in ihrem knappen Kleidchen auch reizvoll genug wirken.
Parteiisch ist auch der Bosnier Ziyo Gafić, der schon mit gut 20 Jahren für seine Fotos aus dem Nachkriegsbosnien zwei World Press Photo Awards einheimste. Wütend sein Essay über das Unrecht, das den bosnischen Muslimen angetan wurde, herzzerreißend die Bilder, die an Massaker und Morde erinnern. Im Gedenkzentrum von Tuzla sind persönliche Gegenstände in kleinen Plastiktüten zu sehen, die der Identifikation von Opfern dienen: Das leicht abgestoßene Feuerzeug offenbar deutscher Herkunft, auf dem drei Pinguine nach links gucken, darunter steht: „Anruf genügt, wir kommen sofort!“
Spätestens bei Gafić’ Arbeit allerdings stellt sich die Frage, ob sich der Bosnienkrieg wirklich unter das Thema Globalisierung subsumieren lässt. Der Blick fällt auf die kurze Textpassage, die zwischen den einzelnen Beiträgen die Brücke schlagen soll: „Von der ökologisch zur kriegerischen Katastrophe“ – ohne „Rückgriff auf trans- und supranationale Ressourcen“ wäre der Bosnienkrieg nicht möglich gewesen. Nur ist es eben heutzutage nicht einmal möglich, Möhren oder Stiefmütterchen zu pflanzen, ohne den Rückgriff auf die Ressourcen aus anderen Teilen der Welt.
Das Von-zur-Motiv der Brückentexte zeigt, wie hilflos jeder Versuch ausfallen muss, „Globalisierung“ mit abstrakten Worten zu beschreiben. Die Waren, das Geld und die Menschen bewegen sich auf dem Globus in größeren Mengen und schneller als je zuvor. Dass so für die meisten nur ein Elend das andere ablöst, ist eine Geschichte, die sich mittlerweile besser in Bildern als in theoretischen Texten erzählen lässt, wie Daniel Schwartz’ Band wunderbar zeigt.
Daniel Schwartz (Hg.): „Geschichten von der Globalisierung“. Steidl Verlag, Göttingen 2004, 256 Seiten, 25 Euro