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Gleichnis der Aufklärung

Zwischen Abrüstung und Aristoteles an einer kritischen Systematik interessiert: Zum Tod der Berliner Philosophin Margherita von Brentano  ■ Von Rüdiger Zill

Der Name Brentano zieht sich seit Clemens und Bettina durch die deutsche Geschichte wie wenige sonst. Da waren zum Beispiel Franz, der Philosoph, und Lujo, der Nationalökonom. Margherita von Brentano stammt zwar aus einer anderen, einer geadelten Linie der weitverzweigten Familie, aber auch diese hat Spuren hinterlassen, so etwa ihr Onkel: Heinrich, der Außenminister unter Adenauer. Ein anderer ihrer Onkel, Bernard, verewigte die Familie 1938 in seinem Schlüsselroman „Theodor Chindler“: das Bild eines erzkatholischen Bürgerhauses. In dieses Bild paßt auch, daß Margheritas Vater, Botschafter beim Vatikan, seine am 9. 9. 1922 geborene Tochter von jenem Apostolischen Nuntius taufen ließ, der später als Papst Pius XII. Berühmtheit erlangte.

Margherita von Brentano erzählte einmal eine Episode aus ihrer Kinderzeit. Gelegentlich habe sie über sich am Himmel ein tiefes Brummen gehört. Das könne, so schloß sie kindermesserscharf, niemand anderes sein als der liebe Gott. Eines Tages fiel den Eltern aber auf, daß ihre Tochter wohl kurzsichtig sein müsse, und so besorgte man eine Brille für sie. Als die kleine Margherita beim nächsten Mal wieder jenes Brummen am Himmel hörte, hob sie den Kopf und sah – nicht den Herrgott, sondern ein Flugzeug. Margherita Brentano erzählte diese Geschichte nur als eine Anekdote am Rande, aber ist sie nicht auch ein schönes Gleichnis für den Begriff der Aufklärung?

Kant war dann in der Tat einer ihrer Lieblingsautoren, aber einer, der mit Horkheimer und Adorno auf einem Podium zu diskutieren hatte. Wissenschaft und Politik, kritisches Engagement und das Insistieren auf rationaler Argumentation: jene typische Mischung der Aufklärer konnte man auch bei ihr wiederfinden.

Sie begann Philosophie zu studieren in Berlin, unter anderem bei Nicolai Hartmann, in den Seminaren, in denen auch der ebenfalls vor kurzem verstorbene Wolfgang Harich saß. Gegen Ende des Krieges schickte ihr Vater sie in das ruhigere Freiburg; dort begegnete sie Heidegger. Dessen Seminare, die Art der Textanalyse, rühmte sie später noch; inhaltlich ließ sie sich aber von seiner Philosophie nicht beeindrucken, schon gar nicht von seiner (un)politischen Haltung. Nach ihrer Dissertation 1948 arbeitete sie erst als Redakteurin, dann bis 1958 als Abteilungsleiterin beim Schulfunk des SWF. An diese Zeit erinnerte sie sich später: „Wir haben in unserem Programm im Südwestfunk die ersten Sendungen über Faschismus gemacht. Wobei der Name selbst nicht vorkommen durfte, aber die Sache kam vor. Das ging auch noch. Die Grenzen wurden sichtbar, wenn man etwa in diesem Zusammenhang in einer Sendung für Schüler und Studenten nun den kommunistischen Widerstand behandelte. An solchen Punkten entzündeten sich für mich in meinem damaligen Beruf die ersten Konflikte.“ Von hier aus ergaben sich auch ihre ersten Kontakte zur Kritischen Theorie: „Ich kam mit den Frankfurtern gar nicht so sehr als mit einer Schule in Berührung, sondern als Personen, bei denen man Auskunft und Hilfe suchte. Die haben ja konkrete Forschungen gemacht, damals in den fünfziger Jahren, über das profaschistische Bewußtsein in Deutschland, und es waren die einzigen. Da konnte man sich was holen.“

Sie hat sich als Linke gefühlt, aber nicht als Anhängerin einer Schule oder eines Dogmas, sie war keine „Frankfurterin“, aber auch keine Marxistin, ein Label, das man ihr später gern anklebte. Denn 1956 ging sie als Assistentin von Wilhelm Weischedel an das Philosophische Institut der Freien Universität Berlin; war damit in den Sechzigern im Zentrum der Studentenbewegung: Ostermärsche, Mitarbeiterin beim Argument, Podiumsdiskussionen. 1970 wurde sie für zwei Jahre Vizepräsidentin der FU. Da war sie erst Akademische Rätin, aber eine höhere Position hatte der Präsident selbst damals ja auch nicht. Man hatte gerade die Feudalstruktur der Universität abgeschafft, wenn auch nur für kurze Zeit.

1971 habilitierte sie sich, wurde dann Professorin an der FU, blieb es bis zur Emeritierung im Jahr 1987. Das Berliner Institut für Philosophie hat sie wesentlich mitgeprägt. Als sich Peter Glotz Ende der siebziger Jahre mit der spektakulären Neuberufung von vier bekannten Philosophen ein hochschulpolitisches Denkmal setzte, war Brentano diejenige, die auf der Universitätsseite maßgeblich daran mitfeilte.

Als Strategin war sie dann auch in ihrem Element. Sie hatte nicht den Ehrgeiz, noch ein mehrtausendseitiges System der Philosophie zu hinterlassen. Die Auseinandersetzung mit Menschen war ihr wichtig – in den Gremien, in ihren Vorlesungen. Diese haben noch viele der Jüngeren, denen man das nicht unmittelbar ansieht, stark geprägt. Mit Seminaren, in denen sich Hunderte von Studenten drängten, mußte sie schon zu einer Zeit jonglieren, als man sich andernorts noch von Privatissimum zu Privatissimum hangelte. Dabei war sie, gerade auch als die Befindlichkeitsattitüden in Mode kamen, immer streng an der Sache orientiert und kritisch, aber trotzdem offen: Arbeiten zur systematischen Wissenschaftsgeschichte sind bei ihr ebenso entstanden wie solche zur postmodernen Ästhetik. Bei ihr hatten auch diejenigen eine Chance, die nicht ohne weiteres in die hochschulpolitisch verankerten Schulen paßten. Für sie selbst waren es paradoxerweise gerade die großen Systematiker, an denen sie sich immer wieder abarbeiten mochte: Aristoteles, Descartes und Kant. Da zeigte sich einmal mehr ihre Verwurzelung in der Tradition.

In den letzten Jahren hatte sie sich, vor allem aus gesundheitlichen Gründen, zurückgezogen. In Mutlangen hat sie noch auf den Schienen gesessen, und auch in letzter Zeit war sie es, die zum Beispiel die Initiative für ein Holocaust-Mahnmal unterstützte. Am 21. März ist Margherita von Brentano in Berlin gestorben.

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