Gleichgeschlechtliche Ehen in New York: "Es wird Gegenwind geben"
Die Zulassung der gleichgeschlechtlichen Ehe in New York ist bedeutend, sagt die New Yorker Anthropologin Dana-Ain Davis. An ein nationales Gesetz glaubt sie allerdings nicht.
taz: Frau Davis, New York hat - als bislang bevölkerungsreichster Bundesstaat der USA - die gleichgeschlechtliche Ehe zugelassen. Wird das die Sitten im Land verändern?
Dana-Ain Davis: Ich glaube nicht. Aber es wird immer mehr Gemeinden und Bundesstaaten geben, die für die gleichgeschlechtliche Ehe eintreten. Zugleich werden wir enorme Gegenbewegungen erleben.
Wird die Ehe das Leben von lesbischen und schwulen Paaren umkrempeln?
Es wird interessant, zu beobachten, ob daraus eine neue Normativität entsteht. Auch die Frage ist spannend, welche Auswirkungen dieses Recht auf andere Beziehungsentwürfe von homosexuellen Paaren hat. Ob beispielsweise Paare, die nicht heiraten wollen, in Zukunft weiterhin die Möglichkeit haben, eine eingetragene Lebenspartnerschaft zu schließen.
Das sind völlig neue Möglichkeiten.
lehrt am New Yorker Queens College (Schwerpunkt u. a.: Geschlechter-Studien) und engagiert sich in der Frauen- und der LGBT-Bewegung. "LGBT" bezeichnet Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle.
Anthropologisch ist es interessant, zu beobachten, wie viele unterschiedliche Formen von Unionen es gibt. Auch da, wo die Ehe verboten ist. Die Sklaven hatten kein Recht auf Ehe, aber sie haben Rituale für Hochzeiten und die Familie geschaffen. Und Schwule und Lesben haben Zeremonien mit Ring-Tausch organisiert - lange bevor sie das legale Recht auf Hochzeit hatten. Ohne Vertrag. Es war emotional.
Wie ist die Institution der Ehe in den vergangenen Jahren ins Zentrum der Forderungen von Homosexuellen gerückt?
Es kommt oft vor, dass marginale kulturelle Milieus im Mainstream aufgehen und dominante Ideen übernehmen. Damit verschwindet das Stigma des Aussenseiters. Aber zugleich verschwindet der Widerstand, das Anderssein. Es gibt Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transsexuelle, die Beziehungen haben wollen, die die dominierende Gesellschaft nachahmen. Inklusive der Normen für Beziehungen. Wenn Menschen von etwas ausgeschlossen sind, das salonfähig macht, begehren sie natürlich den Zugang dazu. Aber selbst wenn das Thema Ehe eine Menge Platz beansprucht, gibt es weiterhin viele Homosexuelle, die keine Ehe suchen. Und die Beziehungen ausserhalb der heterosexuellen Normativität haben.
Das klingt, als gälte das auch für Sie.
Ich weiss nicht, ob ich heiraten werde. Aber es ist gut, dass es dieses Recht auf Ehe gibt. Es ist eine Option. Keine Verpflichtung. Bis vor einigen Jahren war ich allerdings gegen die gleichgeschlechtliche Ehe.
Warum?
Wegen der Gewalt gegen Lesben und Schwule. Ich war der Ansicht, dass die Bewegung nicht die Ehe in den Mittelpunkt stellen konnte, während eine Lesbe ermordet wird, weil sie sich öffentlich als solche zu erkennen gibt. Ich fand es wichtiger, die Leute zu schützen.
Was hat Ihre Meinungsänderung bewirkt?
Dass ich gesehen habe, dass es möglich ist, simultan für die gleichgeschlechtliche Ehe zu kämpfen und sich für die körperliche Unversehrtheit von LGBT zu engagieren. Oder andere Fragen, wie die ökonomische Gerechtigkeit für Homosexuelle zu verfolgen. Die Armut in der Community ist so ein ganz wichtiges Thema in New York.
Wieso gelten für homosexuelle Beziehungen in Hawai und New York andere Gesetze, als im Mittleren Westen?
Regionale Unterschiede spielen eine Rolle. Aber sie erklären nicht alles. Es hängt sowohl von der politischen Lage in einem Bundesstaat, als auch von der Stärke der LGBT- Bewegung ab. In New York kamen zwei Faktoren zusammen: eine sehr starke LGBT-Bewegung und das erfolgreiche Zusammengehen verschiedener Gruppen.
Neben Bürgerrechtsaktivisten haben sich auch konservative Lobbyisten von der Wall Street in der Kampagne engagiert und viel Geld gespendet. Welche Rolle hat das in New York gespielt?
Natürlich ist Geld wichtig. Aber zugleich steckt jede Menge Organisation und Koordination hinter dem Gesetz. Der demokratische Governeur von New York war sehr erfolgreich damit, ganz unterschiedliche Gruppen zusammen zu bringen. Bei den Republikanern hingegen haben mindestens zwei Kandidaten ihre letzte Wahlkampagne mit dem Slogan bestritten, dass sie niemals die gleichgeschlechtliche Ehe unterstützen würden.
Wie viel haben die Positionen zur gleichgeschlechtlichen Ehe denn heute noch mit Parteizugehörigkeiten zu tun?
Nicht alle Republikaner - und nicht alle Demokraten - sind identisch. Bei den Republikanern gibt es Gruppen, die für die gleichgeschlechtliche Ehe eintreten und die gleichzeitig in sozialen Fragen sehr konservativ sind. Am unwahrscheinlichsten ist die Unterstützung für gleichgeschlechtliche Ehen bei fundamentalistischen Strömungen. Aber nicht alle Republikaner sind Fundamentalisten.
Es sieht aus, als hätten sich viel mehr Männer für die gleichgeschlechtliche Ehe engagiert. Sind Lesben weniger an diesem Gesetz interessiert?
Männer stehen überhaupt in der vordersten Reihe. Unter anderem dort, wo die politischen Entscheidungen gefällt werden. Auf den ersten Blick sieht es aus, als wären insbesondere weisse Männer aus der Mittelschicht am stärksten an der Ehe interessiert sind. Aber das entspricht nicht der Realität. Es gibt jede Menge Lesben, die heiraten wollen. Und Schwule mit niedrigen Löhnen, die nicht weiss sind, und die Einwanderer sind und die an der Ehe interessiert sind.
Präsident Barack Obama hat sich vielfach gegen Diskriminierung von Homosexuellen ausgesprochen. Er ist öffentlich gegen das Mobbing in Schulen und Universitäten angetreten. Und er hat dafür gesorgt, dass die Verpflichtung zur Heimlichtuerei von Homosexuellen in der Armee aufhört. Aber zu der gleichgeschlechtlichen Ehe hat er sich immer noch keine Meinung gebildet, sagt er. Warum ist er so zurückhaltend?
Zwar zeigen die Meinungsumfragen, dass die Mehrheit der Leute für die gleichgeschlechtliche Ehe ist. Aber es gibt zahlreiche Spannungen und sektiererische Strömungen im Inneren der Parteien. Der Präsident will alle Amerikaner repräsentieren. Seine Strategie ist es, die gleichgeschlechtliche Ehe jedem einzelnen Bundesstaat zu überlassen. Das kann geschickt sein. Denn wenn er das Thema aufgreifen würde, gäbe es starken Gegenwind.
In den USA wird es also kein nationales Gesetz geben, dass die gleichgeschlechtliche Ehe zulässt?
Eine Bundesgesetzgebung über die gleichgeschlechtliche Ehe wird es vorerst nicht geben. Sondern Kämpfe in jedem einzelnen Bundesstaat. Das ist anders als Spanien, wo gerade 20 Jahre gleichgeschlechtliche Ehe gefeiert werden.
Wird es im kommenden Präsidentschaftswahlkampf um Forderungen der Homosexuellen-Bewegung gehen?
Das hängt von der Entwicklung der wirtschaftlichen Lage ab. Wenn die Arbeitslosigkeit sinkt, ist es auch möglich, darüber zu reden.
In der Geschichte der USA gab es verschiedene große Momente von Emanzipation: die Frauen, die Sklaven, die Afroamerikaner. Hat das, was jetzt bei der gleichgeschlechtlichen Ehe passiert, dieselbe historische Bedeutung?
Das Bürgerrecht, ein Individuum in der Gesellschaft auswählen zu können, hat historische Bedeutung. Aber die Ehe schafft nicht die anderen Diskriminierungen von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transsexuellen ab. Die gesetzliche Gleichberechtigung von Frauen in den USA hat nicht zu ökonomischer Gleichheit geführt. Und die Bürgerrechtsbewegung hat nicht dafür gesorgt, dass schwarze Amerikaner denselben Zugang zu allen Möglichkeiten haben. Paradoxerweise gibt es heute sogar mehr Segregation in den Wohngebieten als vorher.
Immerhin haben Sie einen schwarzen Präsidenten.
Den haben wir. Und das bedeutet nicht, dass der Rassismus zuende ist.
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