piwik no script img

Archiv-Artikel

„Glamour lenkt mich ab“

Der Song „Murder on the Dancefloor“ machte sie bekannt: Ein Gespräch mit Sophie Ellis-Bextor über Musik und eine Armbanduhr

Interview ARNO FRANK

Sophie Ellis-Bextor: Ich mag deine Uhr.

taz.mag: Tatsächlich?

Ist das nicht so ein altes Fossil, wo man auf einen Knopf drücken muss, damit man überhaupt etwas sieht?

Ja, sie belästigt einen nicht mit der Uhrzeit, wenn man sie nicht wissen will.

Andererseits ist es aber schwierig, heimlich auf die Uhr zu gucken. Leute merken, wenn du auf die Uhr schaust. Das ist cool.

Aha. Worüber reden wir hier?

Über Mode, würde ich sagen. Ich habe zwar nur sechs Wochen lang als Model gearbeitet, aber trotzdem will jeder mit mir über Mode reden. Wenn ich sechs Wochen an einer Supermarktkasse gearbeitet hätte, dann würden die Leute wohl kaum mit mir über Einzelhandel diskutieren wollen.

Heben wir uns das für später auf und sprechen wir über Ihre Musik. Sie haben mal gesagt, Pop handle davon, was es bedeute, am Leben zu sein.

So ist es. Das beinhaltet natürlich nicht nur die positiven Sachen. Meine Lieblingsplatten drehen sich alle um Sehnsucht, unerfüllte Liebe, Eifersucht, solche Sachen.

Wie „Murder on the Dancefloor“, Ihr größter Hit?

Der Song ist eine Art Schnappschuss – wie es ist, auf der Tanzfläche ganz bei sich zu sein, eingehüllt in die Musik und ungeachtet der anderen Tänzer. Zwar bringe ich in dem Video Leute um, aber eigentlich ist es nur ein Wortspiel. „Murder“ bezeichnet ein extremes Gewühl oder Gedränge. Dichter Verkehr zum Beispiel kann mörderisch sein, aber mit Mord hat das nichts zu tun.

Die neue Single, „Mixed Up World“, kommt allerdings politischer daher …

Ich habe das Lied Weihnachten geschrieben, als der Krieg gegen den Irak überall diskutiert wurde und man das Gefühl bekommen konnte, die Welt gerät allmählich aus den Fugen. Du denkst, die Leute mit der Macht wären besonders weise und hätten den Schlüssel zu allen Problemen – und dann merkst du, dass das nicht der Fall ist, dass auch Tony Blair nur ein Mensch ist. Dafür muss man kein besonders politischer Mensch sein …

Was ist der Unterschied zwischen „Read My Lips“ und dem neuen Album – es klingt doch sehr nach bewährten Mustern.

Oh, das erste Album ist wie ein erstes Rendezvous, wo man sich vielleicht verliebt, aber noch nicht richtig kennen gelernt hat. Auf dem zweiten Album gehe ich mehr Risiken ein. Es ist wie in einer Beziehung, wo man sich trauen kann, auch mal schlecht gelaunt zu sein. Und es ist gut, die Rolle wechseln zu können. Ich höre gerade ziemlich inspirierende Musik. Am Wochenende habe ich mir Frank Sinatra gekauft, ich liebe diese rockige neue Goldfrapp, The Streets, Basement Jaxx oder Too Many DJs, solches Zeug.

Apropos Rollen: Für „Moulin Rouge“ sollen Sie vorgesprochen haben, und auch als Bond-Girl sind Sie immer wieder mal im Gespräch.

Als Baz Luhman [der Regisseur von „Moulin Rouge“, Anm. d. Red.] mich treffen wollte, war ich ziemlich aufgeregt. Er hat „Romeo und Julia“ gemacht, und ich schätze seine Arbeit sehr. Es war also nett, ihn persönlich kennen zu lernen. Aber so aufregend diese Welt auch sein mag: Ich bin glücklich mit dem, was ich tue – und will im Moment eigentlich nicht die Welten wechseln.

Was wäre Sophie Ellis-Bextor heute, wäre sie nicht Sophie Ellis-Bextor, der Markenartikel des Pop?

Wahrscheinlich Schriftstellerin. Oder Journalistin.

Schreiben Sie?

Nein.

Dann wären Sie wohl kaum Schriftstellerin oder Journalistin.

Ich bin eben voll mit der Musik beschäftigt. Das ist meine Leidenschaft und befriedigt meine Ambitionen in jeder Hinsicht. Alles andere würde mich ablenken …

Präsent sind Sie – neben Ihrer Musik – vor allem durch ihre extravagante, ja damenhafte Erscheinung. Nun sitzen Sie vor mir und wirken auf mich mindestens zehn Jahre jünger. Ist diese öffentliche Rolle Kalkül oder Abbild Ihrer tatsächlich mondänen Persönlichkeit?

Wenn ich mich intensiv um meine Musik kümmere, muss ich mich auch mit demselben Eifer der ästhetischen Seite zuwenden. Ich nehme mich selbst nicht besonders ernst und mag es, mit diesem Image zu spielen.

Wie ein kleines Mädchen, das sich vor dem Spiegel verkleidet?

Natürlich hat das ein spielerisches Element, ich liebe Glamour. Aber die Rolle hat auch eine schützende Funktion, weil sie von mir selbst ablenkt. Bei der ersten Platte war das besonders ausgeprägt. Ich wollte die Öffentlichkeit nicht unbedingt in alle Winkel meiner Persönlichkeit einladen, weil ich das im richtigen Leben mit echten Menschen auch nicht sofort mache. Mit dem zweiten Album lasse ich mehr Hüllen fallen, das ist ganz natürlich.

Da wir von Hüllen sprechen. Was tragen Sie jetzt gerade?

Ich bin heute sehr attraktiv, stimmt’s? Ich war gestern in Paris und habe mich dort komplett neu eingekleidet. Die Ohrringe [lange silberne Klimperdinger] habe ich aus dem Supermarkt. Die Schuhe [weiße gelackte High Heels] sind von Chanel aus den Galeries Lafayette, ebenso die weiße Strumpfhose – das gehört zu meinen Luxussachen. Das Kleid [sehr kurz, dunkelblau mit weißem Kragen und weißen Manschetten] habe ich aus einem Secondhandshop, deshalb sieht man hier (zupft am Ärmel) noch einen Brandfleck von einer Zigarette. Es ist sehr alt, ich glaube, es ist aus den Vierzigern.

Sieht aus wie eine Schuluniform.

Sehr charmant. Es müssen eben nicht immer so einschüchternde Namen wie Chanel oder Hedi Slimane sein. Was trägst du denn da eigentlich?

Du meinst die Schuhe?

Alles.

Die Schuhe sind Camper …

Woher?

Aus Alicante. Sind in Spanien billiger …

Die Jeans sind ein bisschen weit …

Das trägt man doch so, oder?

Wenn man will, wenn man will. Und diese Trainingsjacke?

Hat mir eine Kollegin geschenkt. Gefällt Ihnen das Rot?

Nein, das knallt zu sehr.

Mist. Ich bin also nicht gut angezogen.

(lacht) Nicht wirklich. Aber die Haare sind süß.

Süß?

Ja, so kurz rasiert, das sieht immer sauber aus.

Das würde Ihnen bestimmt auch …

Nein, nein! Auf gar keinen Fall.

Im Video zu „Murder on the Dancefloor“ trugen Sie die Haare schwarz, später brünett, zuletzt rot – und jetzt blond. Was stimmt da nicht?

Ich bin eben im Original eher aschblond, das sieht doch langweilig aus.

Mögen Sie, was Sie morgens im Spiegel sehen?

Nicht heute Morgen (lacht). Ich bin um halb sechs aufgestanden, und meine Augen waren so (drückt sich mit Daumen und Zeigefinger, rosa lackiert, die Augen zu). Ich kann mich über mein Aussehen nicht beschweren, denke aber auch nicht so oft darüber nach. Als ich fünfzehn, sechzehn Jahre alt war, hat sich kein Junge für mich interessiert.

Wie lange brauchen Sie denn morgens im Bad?

Ach, zehn, fünfzehn Minuten, mehr nicht. Wenn ich allerdings auf die Bühne gehe, lasse ich das von einer Visagistin machen. Das dauert länger. Eine halbe Stunde fürs Gesicht, eine halbe Stunde für die Haare.

Der Schlampenlook einer Christina Aguilera ist sicher aufwändiger!

Ich mag sie, als Musikerin. Meine kleine Schwester steht total drauf. Aber … (zögert, blickt kokett zur Decke)

Aber was?

Aber ich fühle mich mehr wie eine europäische Künstlerin. Die Amerikaner haben einen völlig anderen Zugang zum Pop, den ich bewundere, aber lieber nicht kopieren möchte.

Gilt das auch für Madonna, die notorische Pop-Übermama?

Ich mag sie als Figur, als Rollenmodell, aber ihre Musik ist nicht besonders inspirierend.

Sie macht die beste Musik, die sie sich für ihr Geld kaufen kann …

Ja, aber da ist mir eine PJ Harvey doch enorm lieber. Ich denke, im Moment ist es einfach eine gute Zeit für Frauen im Popgeschäft. Es sind so viele starke Frauen unterwegs …

Interessieren Sie sich eigentlich für Veranstaltungen wie den Eurovision Song Contest?

Letztes Jahr bin ich im Rahmenprogramm aufgetreten, in Hamburg auf der Reeperbahn. In England halten wir aber nicht allzu viel davon. Ich weiß, dass das in anderen Ländern anders gesehen wird. Aber, Hand aufs Herz: Es ist peinlich, kitschig und verlogen. Wenn man’s ironisch nimmt, kann es ganz lustig sein. Aber teilnehmen müssen möchte ich bei diesem Theater nicht.

Wirklich nicht? Oder gilt das nur momentan?

Nein, wirklich nicht. Aber willst du mir nicht noch mal sagen, wie spät ist es? Ich mag diese Uhr …

ARNO FRANK, Medienredakteur der taz vom Jahrgang 1971, adoriert ansonsten Kate Bush, Billie Holiday, Patty Smith, PJ Harvey und Vera Lynn – und deren unsterblichen Song „White Cliffs of Dover“. Er plauderte neulich mit Sophie Ellis-Bextor in Berlin in ihrem Hotelzimmer am Alexanderplatz