Glam-Ausstellung in Frankfurt: „Glam sagt, das kann ich auch“
Darren Pih, Kurator der Schau „Glam – The Performance of Style“, über die Relevanz des Jugend-Phänomens Glam in Kunst, Pop und Mode.
taz: Was bedeutet Glam?
Darren Pih: Glam ist eine Sensibilität, eine Haltung, eine Art, über Identität nachzudenken. Glam ist ein extravaganter Stil, campy, künstlich und androgyn. Da kommen mehrere Dinge zusammen: Kunst, Mode und Musik, exemplarisch bei Roxy Music, der Prototyp der Art-School-Band. Glam ist ein Produkt dieser Kunstschulen, in London etwa, wo der Maler David Hockney und der Designer Anthony Price studiert haben.
Glamour, hat Diedrich Diederichsen einmal gesagt, könne nicht selbstreflexiv sein, weil er im Herzen der Kulturindustrie entsteht. Kann man Glam am Reißbrett entwerfen?
No!
Warum nicht?
Weil Glam das Resultat aus unterschiedlichen Entwicklungen ist. Es gibt Spuren von Glam in den Sechzigern in Warhols Factory, in der Kunst von Jack Smith, den Anfängen von Performance-Kunst, im Dandyismus. Es gibt Verbindungen zur Identitätspolitik der Sechziger, also Feminismus und Schwulenbewegung. Glam war eine Fortsetzung verschiedenster Befreiungstendenzen und Bewegungen der Sechziger, man könnte sagen, dass die Sechziger erst 1973 zu Ende gingen, mit dem Höhepunkt von Glam-Rock.
Der Untertitel machts: "Glam - The Performance of Style" heißt die Ausstellung. Glam, so die nicht unromantische Behauptung, kannst du nicht kaufen, den musst du performen. Glam funktioniert nicht nach Masterplan. Und Glam funktioniert auch ohne Glam-Rock. All das belegt die Schau mit einem dem Thema angemessenen Mix aus High Arts und Low Life. Auf engstem, meist in Schwarz und Silber gehaltenem Raum koexistieren friedlich: Cindy Sherman und Bravo, Richard Hamilton und Teenager in verwaschenen Osmonds-T-Shirts. All the Young Dudes.
„Glam - The Performance of Style“, bis 22.September in der Kunsthalle Schirn, Frankfurt am Main
Warum enden die Sechziger ausgerechnet 1973?
Ich sehe Glam als späte Manifestation von Psychedelia, ein exzessiver, bewusst übertreibender Style. Die Schlüsselfiguren wie Warhol, Bowie und Bryan Ferry waren schon in den Sechzigern präsent. Als Glamrock zu Ende ging, 73, 74, da hatten sie ihre jeweiligen Personas gekillt und neue Identitäten angenommen, Bowie hatte Ziggy Stardust sterben lassen. 1973 war auch das Jahr, in dem die Amerikaner aus Vietnam rausgingen.
Durch die Rotunde der Schirn fliegen Andy Warhols Silver Clouds, drinnen zeigen Sie seine frühen Modezeichnungen, Filme mit Velvet Underground in der Factory. Glam avant la lettre?
Exakt. Wir zeigen auch einen Film von Bowies Besuch in der Factory. „I don’t like your hair, but I like your shoes“, soll Warhol zu Bowie gesagt haben – der ging dann gleich zum Friseur. Bowie nahm etwas mit aus der New Yorker-Avantgarde-Kunst der Sechziger und überführte es in die Pop-Massenkultur, als er Ziggy Stardust erschuf.
Bowie mal Aladdin Sane, mal Ziggy Stardust, Marc Bolan, Sternenstaub auf den Wangen, im Glitter-Anzug, Bryan Ferry in Gold-Lamé, Brian Eno mit Federboa. Glam war ein großer Maskenball. Auch eine Vorwegnahme der Gender- und Identitätsdebatten der 90er Jahre?
Es gab die Idee, dass Gender etwas Konstruiertes ist, dass der Gegensatz der Geschlechter nicht naturgegeben ist, dass man sich als Person erfinden kann, all das wurde im Glam vorweggenommen und das hat ihn für Künstler interessant gemacht. Nehmen Sie Katharina Sieverdings Arbeit „Transformer“, benannt nach der gleichnamigen Ausstellung, die Jean Christophe Ammann 1974 in Lausanne kuratiert hatte (während Lou Reed einen weiteren „Transformer“ ins Rennen schickt, K. W.). Da problematisiert sie den Gegensatz von männlich und weiblich, die Gender-Ambivalenz. Bei der großräumigen Video-Installation morpht Sieverdings Gesicht in das Gesicht ihres männliches Partners Klaus Mettig. Das machte Glam so kraftvoll, die Entdeckung, dass man Identität konstruieren kann, dass man sich in der Kunst neu erfinden kann.
Sich neu erfinden? In den siebziger Jahren mag das ja noch ein Versprechen gewesen sein. Heute ist es ein Imperativ.
Na ja, Glam hat eben einiges vorweggenommen, das Posing, das Erfinden einer Persona, das gab es später auch in der Punk-Explosion. Anfang der Achtziger bei den New Romantics wurden viele Motive des Glam wieder aufgenommen.
Glam war eine der wenigen Pop-Epochen, die von der Tabula-rasa-Kahlschlags-Rhetorik der Punk-Revolte verschont blieb. Wie sehen Sie das Verhältnis von Glam zu Punk?
Ich bin nicht der Auffassung, dass Punk die einzige relevante popmusikalische Bewegung der Siebziger war. Punk war mehr auf Abgrenzung aus, provokativer, exklusiver. Das fing mit hundert Leuten in London an, du musstest dir eine Sicherheitsnadel durch die Nase stechen, Speed nehmen, wütend sein. Glam dagegen war ein gesellschaftliches Re-Tuning, ein Katalysator für persönliche und soziale Transformationen. Glam war offener und hat mehr Leute eingeschlossen. Du siehst Künstler im Fernsehen und denkst, das kann ich auch, wenn ich das nächste Mal ausgehe, dann trage ich Make-up und dann werde ich mehr wie ich selbst. Oder ich verkörpere (adopt) eine andere Persona. Künstlerinnen wie Katharina Sieverding oder Jürgen Klauke hatten zur selben Zeit ähnliche Ideen. So gesehen war Glam bedeutender als Punk.
War Glam auch offener und durchlässiger, was Klassengrenzen angeht?
Unbedingt, das war konstitutiv für die Pop-Explosion. Außerdem hat Glam die Provinz erreicht, das ist schön zu sehen in „Roxette“, dem Film von John McManus von 1977. Eine Hommage an Roxy Music, du siehst ihre Fans beim Dressing-up, Roxy Music als Medium der Transformation. Und im Hintergrund die hässlichen Industrielandschaften des englischen Nordens. Immer wieder: Glam – Katalysator für Re-Invention.
War Glam ein weißes Phänomen?
Weiß? Na ja, es gibt viele Glam-Elemente in der schwarzen Kultur, auch Little Richard oder Jimi Hendrix hätten reingepasst, aber man muss sich eben beschränken.
Welchen zeitlichen Rahmen haben Sie sich gegeben?
Die frühesten Werke sind Warhols Modezeichnungen aus den mittleren Fünfzigern, die Kernphase sind die Sechziger und Siebziger mit Richard Hamilton, bei dem Bryan Ferry studierte, Jürgen Klauke, Andrew Logan mit seiner androgynen „Alternative Miss World“-Selbstinszenierung, Cindy Shermans und Eleanor Antins Selbsverwandlungskünste, Derek Jarmans Film-Essays auf Super 8 und, und, und – Glam war international, in London hatten sie ähnliche Ideen wie in New York oder Köln, sie wollten ähnliche soziale und politische Veränderungen. It was fine arts ideas at the frontface of pop culture.
Glamrock ist Geschichte, aber Glam?
Glam ist nie ganz verschwunden und Glam ist definitiv im Hier und Jetzt. Wenn du heute auf Lady Gaga oder Goldfrapp schaust, die Patina, das Make-up, die Modenschauen, der Style hat noch Dringlichkeit.
Haben Sie nicht daran gedacht, heutige Erben von Glam zu zeigen? Künstlerinnen, die mit queeren Strategien arbeiten, Coco Rosie, Peaches, Kumbia Queers oder Antony Hegarty. Antony bezieht sich ja ausdrücklich auf Jack Smith und das Theatre of The Ridiculous, er hat „Candy Darling on her deathbed“, Peter Hujars berühmtes Foto von Andy Warhols Trans-Star auf dem Totenbett, als Album-Cover verwendet?
Jaja, das Peter-Hujar-Foto von Candy zeigen wir, es demonstriert, warum Glam als Performance von Style so bedeutend ist, Candy Darling auf ihrem – oder seinem – Totenbett, und sie performt immer noch. Performance never ends.
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