Gläsernes World of Warcraft: Ich weiß, wann Du heute getötet hast
Wer World of Warcraft spielt, muss damit leben, dass sein Verhalten neuerdings minutengenau aufgezeichnet und öffentlich gemacht wird. Einigen Spielern geht das gegen den Strich.
BERLIN taz | Seit wenigen Wochen hat die bislang in sich geschlossene Online-Spielewelt "World of Warcraft" (WoW) einen direkten Anschluss ins Web: Hersteller Blizzard hat eine neue Website namens "The Armory" ("Die Waffenkammer") gestartet, die eine Art Google für das Multiplayer-Rollenspiel mit seinen mehr als 11 Millionen Mitgliedern darstellt.
"Die Armory ist eine durchsuchbare Datenbank mit Informationen aus World of Warcraft, ermittelt direkt von unseren echten Servern und auf nutzerfreundliche Art und Weise präsentiert", heißt es dazu auf der Website stolz. Blizzard, so scheint es, möchte am Boom des sozialen Web teilhaben.
Wer in der WoW-Armory stöbert und den Benutzernamen sowie die Welt ("Realm") eines Spielers kennt, kann sich mit wenigen Mausklicks über dessen Aktivitäten im Game informieren. Da gibt es dann beispielsweise eine hübsch 3D-animierte Darstellung der Spielfigur, ihre wichtigsten Besitztümer und das Niveau des Schutzschildes. Reputationslevel und die einzelnen "Talente" runden das Profil ab.
Richtig interessant wird es jedoch, klickt man auf den Punkt "Activity Feed": Darin wird haarklein aufgelistet, was das WoW-Mitglied so treibt. "Sieben Todesbringer getötet", steht da dann zum Beispiel, oder "Zwei Seelenfresser vernichtet". Was zunächst nur andere Rollenspieler interessieren dürfte, wird allerdings durch reale Informationen: Jede der letzten 50 Aktivitäten enthält die exakte Uhrzeit. Kennt man den Spielernamen einer Person, kann man ihr nachweisen, wann sie wieder mal zu viel Zeit am Computer verdaddelt hat.
Das neue Feature sorgt bereits für Aufruhr: Die deutschsprachige Debatte im offiziellen Forum versammelte nach 11 Tagen bereits 3.500 Beiträge. Während einige Mitglieder kein Problem mit dem neue Feature haben, erwägen andere bereits, ihre WoW-Sucht zu zügeln.
"Wenn öffentlich mein Online-Verhalten einsehbar ist, dann hat das schon mit meinem 'echten Leben' zu tun. Und da habe ich sehr wohl ein Problem damit, wenn solche Daten veröffentlicht werden", schreibt ein User. Ein anderer sieht das Problem eher als "lächerlich" an: "Was ist daran so schlimm?"
Problematisch wird die Funktion vor allem dadurch, dass die User nicht selbst entscheiden können, ob es eingeschaltet ist: Wer bei WoW Monster jagt, wird automatisch in der Armory erfasst, ein "Opt-Out" ist nicht vorgesehen. Die Spielerüberwachung wird außerdem noch erleichtert, in dem Blizzard den Aktivitätenstrom im Spiel auch per RSS-Feed lesbar macht: So liefern die WoW-Betreiber neugierigen Usern die Daten bequem auf den Newsfeed-Reader.
Das Limit auf die letzten 50 Aktivitäten im Spiel wird so ausgehebelt, weil jede Reader-Software automatisch ein Archiv anlegt. Über ein paar Wochen vorgenommen, lässt sich so jedem WoW-Spieler genau nachweisen: Ist er nur gelegentlich dabei? Oder gar spielsüchtig?
Bislang sind alle Daten in der Armory frei zugänglich, allein der Kalender eines Mitglieds, in dem beispielsweise kommende Kampagnen vermerkt sind, lässt sich nur mit einem WoW-Account-Namen einsehen. Es ist zudem davon auszugehen, dass die Aktivitätsdaten von Google erfasst werden – der Suchroboter ist von der Armory-Seite jedenfalls nicht explizit ausgeschlossen.
Blizzard hat sich zu der Problematik noch nicht geäußert. Im Forum geben die Gamer einstweilen zur schnellen Abhilfe den Tipp, den eigenen Spielernamen in WoW möglichst geheim zu halten und nicht mit anderen Profilen im Web zu verknüpfen. Das dürfte im Nachhinein jedoch nur wenig helfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Übergriffe durch Hertha-BSC-Fans im Zug
Fan fatal