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Mit dem EG-Gipfel auf Du und DuGipfel-Nachlese

■ Ausländische Pressestimmen zum Brüsseler Kompromiß

„Horch, was kommt von draußen rein!“ Diese Aufforderung nehmen wir hier ernst und präsentieren Kollegenmeinungen aus anderen EG-Ländern – britische gleich zweimal, damit der Dame Genüge getan wird.

The Times, London:

Scharfe Kritik an Thatchers EG-Politik: „Es war immer offensichtlich, daß in Brüssel kein für Großbritannien befriedigendes Ergebnis erzielt werden konnte, weil Wahlen in Frankreich und Deutschland anstanden. Bis zum späten Freitag abend schien sich die vorhersehbare (und wünschenswerte) Sackgasse aufzutun. Doch plötzlich erschien eine müde Frau Thatcher mit einem Abkommen, das europäische Beamte als historisch beschrieben. Es ist kaum zu glauben, daß ein Politiker mit der Erfahrung von Frau Thatcher auf den ältesten Trick in der EG-Kiste hereinfallen könnte. ... Der Gipfel der Gemeinschaft hat die Chance vertan, ihrem stärksten Führer zu erlauben, sie zu einer echten Reform vorwärtszutreiben. Und Großbritannien wurde dafür bezahlt stillzuhalten – ein wahrhaft schlechtes Geschäft.“

Financial Times, London:

„Frau Thatchers Entscheidung am Freitag abend, das Einigungspaket auf dem Tisch des EG-Gipfels zu akzeptieren, muß eine der schwierigsten ihrer Karriere gewesen sein. Sie verdient dafür volle Anerkennung, nicht weil das Abkommen selbst gut ist, sondern genau genommen dafür, daß sie das politische Geschick besaß zu erkennen, daß es das Beste war, was sie bekommen konnte. Sie verdient Anerkennung und für ihre staatsmännische Einsicht, daß mehr verloren als gewonnen würde bei einer Verlängerung der Agonie, sowohl für Großbritannien als auch für die Gemeinschaft. ...

Quotidien de Paris:

„Alles scheint zusammengekommen zu sein, damit zwölf bedeutende Länder sich endlich entschließen, gemeinsam die Herausforderungen einer Welt anzunehmen, die sich umwälzt. Einer Welt, deren ständige Bewegung nicht auf die lebenswichtigen Interessen des alten Europas Rücksicht nimmt. Wie es die plötzliche jüngste Komplizenschaft Reagan-Gorbatschow bezeugt, die in Washington – wer würde dies noch bezweifeln? – auf dem Rücken der Europäer zu Tage trat. Und dennoch: Nichts passiert. Die schmerzhafte Niederkunft in Brüssel ... unterstreicht nur die große Leere: die Abwesenheit eines gemeinsamen politischen Willens. Man tritt bei der Landwirtschaft, der Geldpolitik oder dem Haushalt auf der Stelle, während all dies ohne größere Krise geregelt werden könnte, weil jeder das zurechtrücken kann.“

El Pais, Madrid:

„Von nun an kann man hoffen, daß die EG-Ratstreffen kein Abklatsch der Sitzungen der Landwirtschafts- und Finanzminister mehr sein werden. Vielleicht war das unvermeidlich, solange die EG-Finanzreform nicht verabschiedet war... Auf jeden Fall werden sich die höchsten EG-Organe von der Last der Finanzprobleme befreien und sich den wichtigeren politischen Themen zuwenden können, die die Zukunft stellen wird. Noch lange wird Europa jedoch das Europa der Kompromisse bleiben. Aber es muß gleichzeitig auch mehr und mehr das Europa der Projekte werden.“

Berlingske Tidende, Kopenhagen:

„In der Stunde der Freude kann man sich natürlich damit begnügen, froh darüber zu sein, daß es einen Erfolg gab. Aber man muß gleichzeitig einsehen, daß der Preis für dieses Resultat nicht für alle gleich hoch gewesen ist. Die Deutschen müssen ihre große Brieftasche zücken, wenn die neue Ordnung finanziert wird. Und es steht sich gut an, daß die deutsche Präsidentschaft zum Geben bereit war, nicht zuletzt im Lichte der Tatsache, daß Bundeskanzler Helmut Kohl eine deutliche Mitverantwortung für den Schiffbruch beim Kopenhagener Gipfeltreffen vor zwei Monaten trug.“

La Repubblica, Rom:

„Ein handgreiflicher Sinn von Entfremdung hat diesen Gipfel durchdrungen. Es war gewissermaßen wie in einem Gemeindetheater, in dem alte pensonierte Schauspieler für Wohltätigkeitszwecke die Texte stottern, die sie in der Vergangenheit berühmt machten. Wer aus Chronistenpflicht das traurige Spektakel verfolgt, muß sich einfach fragen, warum diese zwölf Herren oder besser elf Herren mit einer Dame sich weiterhin bei Gelegenheiten wie dieser treffen. Sie sind gezwungen, bittere Streitigkeiten über technische Fragen zu inszenieren, von denen sie fast nichts verstehen und über die sie nicht sprechen könnten, wenn sie nicht die Experten hätten, die ihnen Antworten, Einwände, Vorschläge, Statistiken und Formeln vorsagen würden. Das Ganze geschieht mit einem ermüdenden Crescendo, das sich in die Nacht fortzieht, hinweg über die Mahlzeiten, übers Frühstück und in dem der Rhythmus der Mehrwertsteuer sich mit der Pro-Hektar-Produktion kreuzt, in dem sich die Zukunft des Rapssamens mit der Kurve des Brutto-Sozialproduktes verheddert, und wo ein Strukturfond auf den Interventionspreis abfärbt.“

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