piwik no script img

Gimmicks für Wetterfrösche"Tiefs sind spannender als Hochs"

Seit 2002 verkaufen Meteorologie-StudentInnen der Freien Universität Patenschaften für die Druckgebiete über Europa - auch als Weihnachtsgeschenk. Projektleiterin Julia Sieland erklärt, warum Namen mit J schnell weggehen - und wie man auch ein Y loswird

Wie heißt noch mal das aktuelle Tief? Bild: dapd
Anna Klöpper
Interview von Anna Klöpper

taz: Frau Sieland, vor 10 Jahren haben die Studierenden des Instituts für Meteorologie der Freien Universität damit angefangen, Namenspatenschaften für Hoch- und Tiefdruckgebiete zu verkaufen. Wie läuft das Jubiläums-Weihnachtsgeschäft?

Julia Sieland: Wir hatten gerade vor ein paar Tagen noch Leute, die ganz verzweifelt ein Geschenk zum Nikolaus gesucht haben. Seit Ende September verteilen wir aber auch schon die Patenschaften für 2013. Allein am ersten Tag gingen über 100 Faxe und Briefe ein, und erfahrungsgemäß kommt um den 22. Dezember herum noch mal ein ganzer Schwung auf der Suche nach einem Geschenk.

Welche Buchstaben sind dann mit Sicherheit schon weg?

A, M, J – Jochen! – sind immer sofort vergeben. Und H – ziemlich viele Männer heißen offenbar Hans-Georg. Auch Hochs haben wir jetzt nicht mehr so viele da. Was wohl auch daran liegt, dass 2013 wieder ein ungerades Jahr ist und dann alle Hochs weibliche Vornamen tragen.

Sie meinen, wenn die Hochs weiblich sind, verkaufen sie sich besonders gut?

Ja. Wir haben das Gefühl, Männer trauen sich nicht, ihren Frauen zum Geburtstag oder zum Hochzeitstag ein Tief zu schenken …

Es hätte zugegebenermaßen eine etwas negative Symbolik.

Aber Tiefs sind viel spannender! Zumindest für Meteorologen. Da passiert wenigstens Wetter. Wir haben allerdings auch einige Männer, die ausdrücklich ein Tief verlangen – weil ihre Frau gerne segelt oder bei der Feuerwehr ist. Ich habe mal einer Freundin zum Hochzeitstag ein Tief geschenkt, weil es genau in dem Augenblick, als sie aus der Kirche kamen, fürchterlich regnete und sich alle immer nur daran erinnern. Das Geschenk kam übrigens gut an.

Wer verschenkt sonst noch alles Wetter?

Julia Sieland

bekäme viel lieber ein Tief als ein Hoch geschenkt. Die 24-Jährige studiert im dritten Mastersemester Meteorologie an der Freien Universität und ist eine von derzeit rund 20 StudentInnen, die die studentische Wetterbeobachtung durchführen. Mit einer Kommilitonin betreut sie die "Aktion Wetterpaten". Nach dem Studium würde sie gern beim Geoinformationsdienst der Marine arbeiten.

Im Jahr 1908 begann die Königliche Gartenlehranstalt Dahlem mit der Aufzeichnung von Wetterdaten. Später ging die Beobachtungsstation an das Meteorologische Institut der Freien Universität über. Die in Dahlem erhobenen Wetterdaten bilden die "Berliner Reihe" - eine der weltweit längsten Beobachtungsreihen.

Seit Ende 2002 führen Studierende die Wetterbeobachtung eigenverantwortlich durch - finanziert durch die Aktion "Wetterpate". Über 1.800 Menschen standen bereits Pate für ein Hoch- oder Tiefdruckgebiet.

Im Jahr 2013 haben die Hochs weibliche, die Tiefs männliche Vornamen. Für die Hochs sind fast alle Buchstaben vergeben, bei den Tiefs gibt es noch Kapazitäten. Erlaubt sind alle Vornamen, die im amtlichen Namensregister des Standesamts geführt werden. Antragsformulare auf www.met.fu-berlin/wetterpate.

Manchmal legen Kollegen zusammen oder Schulklassen für ihre Lehrerin. Oder jemand will seinem Partner ein Tief schenken, weil der ein Wetternarr ist und seine eigene kleine Messstation hinten im Garten hat.

Tiefs sind eher was für Kenner.

Zumindest ist es ein Trugschluss zu glauben, Hochs brächten nur gutes Wetter. Das zähe Nebelwetter vor einigen Wochen, das war auch ein Hoch.

Nach welchem Prinzip werden die Buchstaben vergeben?

Jedes Jahr gibt es so viele Hochs, dass man etwa zweimal durchs Alphabet kommt, bei den Tiefs ungefähr fünfmal. In der Startphase Ende September vergeben wir die Patenschaften für den jeweils ersten Durchlauf nach dem Prinzip: Der Schnellste gewinnt. Danach wird gelost. Wenn der erste Ansturm vorbei ist, kann es aber später im Jahr sein, dass man spontan noch seinen Wunschbuchstaben bekommt, wie jetzt einige zum Nikolaus. Gerade bei den letzten Alphabet-Durchläufen für die Tiefs bleiben gern mal unsere Kreativbuchstaben übrig.

Und was machen Sie dann mit Q, X, Y und Z?

Die landen im Zweifel bei eBay, da kann man sie für ein Mindestgebot von einem Euro ersteigern.

Tiefs kosten 199 Euro, Hochs 299 Euro. Warum der Unterschied?

Von einem Hoch hat man länger etwas, die dauern ungefähr eine Woche. Ein Tief ist meist nach ein, zwei Tagen vorbei. In jedem Fall bekommt man aber von uns eine Patenurkunde, eine Berliner Wetterkarte vom Tauftag und eine „Lebensgeschichte“ des jeweiligen Hoch- oder Tiefdruckgebiets – da ist dann der gesamte Verlauf des Druckgebiets dokumentiert.

Warum kostet es überhaupt Geld, wenn ich Wetter auf meinen Namen taufen lassen will?

Wir finanzieren damit an der FU seit 2002 die studentische Wetterbeobachtung. Die sollte damals auf eine Beobachtung am Vormittag eingedampft werden, statt wie vorher – und auch jetzt noch – 16 Stunden täglich. Den Rest sollten Maschinen übernehmen. Die können aber nicht alles. Zum Beispiel kann ein Automat Bewölkung registrieren, aber nicht die Art der Bewölkung. Und im Sommer wird Grilldunst schon mal als „eingeschränkte Sichtweite“ angezeigt.

Im vergangenen Sommer stand die studentische Wetterbeobachtung schon wieder zur Diskussion. Dabei ist der Service der Studierenden doch jetzt für die Uni kostenlos.

Zum Projekt gehört auch ein Wetterdiensttechniker, der etwa für das Zeichnen der Wetterkarten zuständig ist. Die Stelle wurde bisher von der Uni bezahlt. Wir haben mit einer Unterschriftenaktion gegen die Einsparung protestiert, jetzt gibt es erst mal eine viermonatige Zwischenlösung. Für uns Studenten hat die Praxis, die wir bei der Wetterbeobachtung bekommen, einen unschätzbaren Mehrwert.

Zudem hat Berlin damit die einzige Wetterstation, die alle für Mitteleuropa wetterbestimmenden Hochs und Tiefs tauft. Warum passiert das eigentlich hier in Dahlem?

Das hat sich einfach so ergeben. Der US-Wetterdienst tauft schon seit dem Zweiten Weltkrieg, allerdings nur Tiefdruckgebiete. Seit den 50er Jahren vergibt man auch hier an der FU Namen. Die Idee war, die Lage auf der Wetterkarte übersichtlicher zu halten, insbesondere wenn sich gerade viel tut. Und anscheinend macht man das hier ganz gut. Jedenfalls hat nie ein anderer privater oder staatlicher Wetterdienst Ambitionen angemeldet, ebenfalls taufen zu wollen.

Beim ersten „P“ für 2013 steht auf Ihrer Liste „Pille“. Wenn ich ins ARD-Wetter will, wäre etwas Wohlklingendes wie „Patricia“ günstiger, oder?

Was die Medien von uns übernehmen, ist deren Sache. Sie müssen dem Wetter keine Namen geben. Oft machen sie es aber, wenn die Wetterlage besonders schön ist – oder tatsächlich, wenn sie den Namen toll finden.

Um die letzte Frage kommen weder wir noch Sie herum: Gibt es Schnee an Weihnachten?

Na, das wäre jetzt noch eine Vorhersage mit der Glaskugel. Es gibt zwar immer einige, die sich da ganz schön weit aus dem Fenster lehnen, aber mit Wettervorhersagen, die mehr als eine Woche in die Zukunft gehen, sollte man generell vorsichtig sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!