: Gigs mit Kicks
■ Undergroundbereichiges im gemauserten Wehrschloß am Mittwoch
Fast unbemerkt, heimlich still und leise tut sich etwas in Bremens unabhängiger Musikszene. Eine bessere Verstärkeranlage macht die Veränderung hörbar. Neue Ausleuchtung sorgt für ungewohnte Einblicke. Was sich früher als enge Räumlichkeit mit dem jugendfreizeitheimlichen Flair von ausgemustertem Schulmobiliar präsentierte, ist nun ein kleiner Konzertsaal geworden. Kurzum: Das Wehrschloß in Hastedt mausert sich.
Diese Details sind deshalb erwähnenswert, weil sich neben vielen neuen Bands aus dem Bremer Raum inzwischen auch mehrere junge, non-profitable Veranstalter etabliert haben. Die Musikszene ist in Bewegung, und das ist durchaus wörtlich zu verstehen: Die Zentralisierung des Independent-Geschehens im Umfeld des Schlachthofes ist somit aufgeweicht.
Der Dreier-Pack am Mittwoch im Wehrschloß bot in diesem erfreulichen Rahmen Abwechslungsreiches. Die einzige Formation aus deutschen Landen, Geteilte Köpfe, sorgte für ein kurzweiliges Warming-Up. Die Gruppe aus Hannover versprühte mit ihrem Fake-Punk gute Laune jenseits aller Rockmusik-Schubladen. Das Quartett vergnügte mit schrillen Tönen, skurrilen Breaks und einer Mischung aus krächzenden Gitarrenlängen, gestrichenen Geigenmustern und einer souveränen Sangesleistung der Frontfrau. Daß dem gesamten Gig der letzte „Kick“ fehlte, ändert am guten Eindruck freilich nichts, das Konzept stimmt. Nun braucht es nur noch letzten Schliff.
Diese berühmte finale Glättung hat ein gewisser Rick Agnew aus Los Angeles, Kopf der Rick Agnew Yard Sale, ganz anders verstanden. Der schwergewichtige Mann mit dem Kopftuch war mit der geradlinigen Gute-Laune- Musik seiner Band allein nicht zufrieden. Er brauchte mehr Show und Aufsehen. So machte der beleibte Möchte-Gern-Fiesling auf schlechte Laune zum heiteren Spiel und zerfurchte die fettgepolsterten Strukturen seines Oberarms mit einer abgebrochenen Bierflasche. Das tat dem schnörkellosen Punk keinen Abbruch, der Stimmung im Saal auch nicht, also verzichtbar.
Die als Headliner des Abends gehandelten Alice Donuts, ebenfalls aus den USA, wußten nach dieser allenfalls lachhaften Einlage genau, wo sie mit ihrem musikalischen Vortrag hinwollten. Zwei Gitarren, Baß, Schlagzeug und ein Sänger — das bedeutet einen von Saiten und Stimme dominierten Act. Kollektives Köpfeschütteln, gellende Songrudimente und kraftvolle Rhythmusschübe sollten den Weg nach oben unterstreichen, auf dem sich die Band zu befinden wähnt. Nichts gegen extrovertierte Darstellungen im Spotlight, doch man hat den Eindruck, als wollten Alice Donut mit allen Mitteln in die Charts und wüßten nicht wie. Für einen breiten Publikumsgeschmack waren sie einfach zu hart, mit zu vielen Tempowechseln befrachtet und zu dreckig.
Am Freitag und Samstag ist das Wehrschloß wieder das Forum unabhängiger Gruppen. 21 Bands werden beim diesjährigen OFF- Festival dabeisein. Amerikaner werden dann nicht mitmachen dürfen, BremerInnen bleiben unter sich. Cool J.F.
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