: Gigantomanisch aufbereitet
■ »Jüdische Lebenswelten« — Fast fünfzig Jahre nachdem die Nazis das europäische Judentum fast vollständig vernichtet haben, präsentiert Berlin eine museale Total-Show jüdischer Kultur
Berlin. Töne der Klezmer-Klarinette, sephardische Lieder, Synagogen-Gesänge oder neuer chassidischer Rock — diese Spielarten jüdischer Folklore im Bereich Musik ergänzen in den kommenden Monaten die große Ausstellung Jüdische Lebenswelten im Martin-Gropius-Bau. Ein umfangreiches Programm auch in den künstlerischen Sparten Literatur, Theater und Film begleitet an vielen Stätten Berlins die kulturhistorische Schau, damit interessierte Besucher das Judentum in seinen Traditionen und Formen live erleben können.
Für die Berliner Festspiele, Veranstalter der Ausstellung und einer Vielzahl der Kulturtermine, ist das umfassende Programm das größte, das sie je organisiert hat. »Wir wollen die Vitalität, Vielfalt und den Reichtum jüdischer Welt demonstrativ herausstellen«, betonte der Leiter der Berliner Festspiele, Ulrich Eckhardt, gestern vor Journalisten. Zum 50. Jahrestag der Wannsee-Konferenz, auf der die Nationalsozialisten am 20. Januar 1942 die »Endlösung der Judenfrage« organisierten, sollten nicht nur Gedenkausstellungen zum Völkermord, sondern auch Aufklärung über Traditionen, Bräuche und Arbeit des Judentums den Nährboden für Fremdenfeindlichkeit — »die Unkenntnis« — beseitigen, meinte Eckhardt.
Unter den Höhepunkten des instrumentellen und vokalen Musikprogrammes ist die Uraufführung der 5. Sinfonie des jüdischen Komponisten Josef Tal mit dem Berliner Philharmonischen Orchester unter der Leitung Daniel Barenboims. Im breiten Spektrum von traditioneller Musik über Kunst-Musik des 17. Jahrhunderts bis zu zeitgenössischem orthodoxem Rock bringt der Liedermacher Wolf Biermann Lieder des jüdischen Widerstandes zu Gehör. In einem Gesprächskonzert bietet der polnisch-jüdische Komponist Leopold Kozlowski Musikbeispiele aus seinem Leben dar.
Internationale Gastspiele und Wiederaufnahmen aus Berliner Produktionen zu jüdischen Themen von jüdischen Autoren kommen auf die Bühnen der Stadt. So spielt das Kunsthaus Tacheles Heinar Kipphardts Stück Bruder Eichmann. Eine szenische Lesung Der Liebesgesang der Alphabete von Auschwitz unter der Regie von Georg Maria Pauen bereitet eine Theater-Uraufführung im Juni vor.
Mit dem Gesang-Drama Der Golem in Jiddisch und Deutsch von Moni Ovadia setzt das Theater-Begleitprogramm schon am 11. Januar im Hebbel-Theater ein. Gezeigt werden auch George Taboris Mein Kampf und Walter Jens, Der Fall Judas.
Unter den Literaturterminen bietet das Jüdische Gemeindehaus Berlin eine Reihe von Lesungen jüdischer Autoren wie Ralph Giordano und Edgar Hilsenrath unter dem Titel 50 Jahre nach der Shoah — Wir leben trotzdem. Sowjet-jiddische Dichtung und Prosa ist Bestandteil der kommenden 6. Tage der jiddischen Kultur, die das Kulturamt Prenzlauer Berg veranstaltet. Eine größere Literaturreihe in der Akademie der Künste wird noch bis Ende März vorbereitet.
Auf mehreren Symposien sollen historische und gegenwärtige Themen erörtert werden. In der Europäischen Akademie Berlin stehen Jüdinnen im 19. und 20. Jahrhundert (Von einer Welt in die andere) im Mittelpunkt.
Zur Nahostkonferenz fragt das evangelische Haus der Kirche zu Juden, Christen, Moslems — unterwegs zur Zusammenarbeit in den Überlebensfragen der Menschheit. Eine Ring-Vorlesung der Freien Universität bearbeitet wissenschaftlich den »künstlerischen Umgang« mit dem Massenmord an den Juden. dpa
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