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■ Gibraltars Schmuggler kämpfen für ihr GeschäftMit Goldkettchen und Benzinbomben

Madrid (taz) – Auf der Main Street in Gibraltar, wo sonst Touristen ihren zollfreien Einkäufen nachgehen, gab es am vergangenen Wochenende statt dessen Krawalle. Die 300 Menschen, die in den frühen Morgenstunden des Samstags die Polizei mit Benzinbomben und Steinen attackierten, waren Kleinunternehmer der ganz besonderen Art: Wie ihre Vorbilder, die Fernsehganoven von „Miami Vice“, bevorzugen sie teure Markenkleidung und Goldkettchen. Ihr Geschäft ist der Tabak- und Drogenschmuggel, den sie mit Hilfe von motorisierten Schlauchbooten ausüben. Am Wochenende lies der Chef der Kolonialverwaltung, Joe Bossano, 55 der 200 in Gibraltar zugelassenen, in dunklen Tarnfarben gestrichenen Boote beschlagnahmen.

Seitdem fürchten die meist jungen Schmuggler um ihre Einkünfte. Eine Fuhre mit tausend Stangen amerikanischer Zigaretten an Bord bringt im benachbarten spanischen Dorf La Atunara umgerechnet 12.000 Mark ein. Am Strand werden die Schmuggler bereits erwartet. In Windeseile entlädt man das Boot, um ebenso schnell zu verschwinden. Die Leute, die die Ware wegschaffen, verdienen nicht ganz so gut: Von jedem Karton mit 50 Stangen, den sie in Sicherheit bringen, bleiben ihnen umgerechnet 35 Mark.

Die spanische Polizei, die Guardia Civil, beschränkt sich meist darauf, die Schmuggelaktionen aus der Luft zu filmen. Beschließt man doch einmal einzugreifen, wird die Polizei von einer Menschenmenge mit Steinhagel und Leuchtspurmunition empfangen. Das Frühwarnsystem mit Posten auf Dünen und Hügelketten funktioniert in der verarmten Region gut. Ohne die illegalen Einnahmen wäre man nämlich zum Hungern verurteilt. Die einzige Möglichkeit, die Schmuggler zu stellen, ist die Verfolgungsjagd auf offenem Meer. 14 Menschen sind bei diesem gefährlichen Unterfangen bereits umgekommen.

Allein im ersten Halbjahr 1994 importierte Gibraltar 31,6 Millionen Schachteln Zigaretten: 140 Zigaretten pro Tag und Einwohner – vom Säugling bis zum Greis. 17 Prozent der in Spanien verkauften ausländischen Zigaretten sind Schmuggelware. Seit 1989 entging dem spanischen Fiskus auf diese Art eine Milliarde Mark an Steuereinnahmen, so klagte die Regierung vor der EU-Kommission. Und was viel schwerer wiegt: Auf der Tabakroute findet immer häufiger auch Haschisch und vor allem Heroin den Weg ins Land. Gibraltar liegt nur neun Seemeilen von der Küste Marokkos entfernt.

Vorerst ist in der 580 Hektar großen Kolonie, auf deren 500 Meter hoher roter Klippe seit 281 Jahren der britische Union Jack weht, wieder Ruhe eingekehrt – dafür sorgte der brutale Polizeieinsatz mit 35 Verhafteten und 16 Verletzten. Gemäß der Vereinbarung mit London und Madrid werde er künftig jeden Schmuggel unterbinden, sagte Regierungschef Bossano nach den Auseinandersetzungen in einer Fernsehansprache. Die Einfuhr von Schnellbooten ist fortan verboten.

Der Gegenseite – den Schmugglern – gefällt Bossanos Verhalten gar nicht. Von einem Ausverkauf der Interessen Gibraltars ist die Rede. Auf vielen Häuserwänden prangt der Spruch „Royal Gibraltar Police = Royal Guardia Civil“. Bei der Bevölkerung stoßen die Schmuggler auf Verständnis.

Man hätte es lieber gesehen, wenn Joe Bossano auch weiterhin gegenüber den spanischen Klagen hart geblieben wäre, denn die Regierung in Madrid fordert immer wieder öffentlich die Rückgabe Gibraltars. Genau das lehnen 98,5 Prozent der Einheimischen jedoch strikt ab. Jede auch noch so kleine Übereinkunft läßt Ängste wach werden. Reiner Wandler

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