: Gib mir Regeln!
Land of the Free (5): Das Paarungsverhalten der Amerikaner gehorcht einer strengen, verstaubten Etikette
New York ist die Single-Metropole der USA. Da die meisten Amerikaner anscheinend nicht wissen, wie man korrekt datet, haben Ellen Fein und Sherrie Schneider das Buch „The Rules – Time-tested Secrets for Capturing the Heart of Mr. Right“ geschrieben. Der 1995 erschienene Ratgeber ist mit mehr als zwei Millionen gedruckten Exemplaren ein Dauer-Bestseller und gehört neben Lippenstift und Stöckelschuhen zur Grundausstattung der datenden New Yorkerin.
Neulich entdeckte ich das Werk auf dem Nachttisch meiner Freundin Shelley. Sie ist erklärte Anhängerin und redet ständig über T.R. (The Rules). Ihre zerfledderte Taschenbuchausgabe ist voller Eselsohren und Ausrufezeichen. Shelley arbeitet in einer Anwaltskanzlei in Manhattan, ist 38 Jahre alt und die Männer laufen ihr nach dem vierten Date meist davon. Ob es mit T.R.-Regel Nummer 5 zu tun haben könnte?: „Bei den ersten drei Dates ist Sex verboten.“
Shelley ist ein überzeugtes „Rules Girl“. Die erste und wichtigste Regel sei, dass der Mann die Frau erobern muss. Frau darf nie den ersten Schritt machen.
Die „Rules“ versprechen eine Antwort zu jedem romantischen Dilemma. Von Hilfestellungen für den Alltag (Regel Nummer 4: „Mach dich rar, beantworte nur jede vierte E-Mail“) bis hin zu grundsätzlichen Erkenntnissen über das andere Geschlecht: (Kapitel IV) „Männer mögen Frauen, die sich modisch und sexy kleiden. Wenn du unsicher bist, wie du dich sexy anziehst, solltest du regelmäßig Cosmopolitan, Vogue und Glamour lesen.“
Angesichts des erzkonservativen Rollenverständnisses, das in den „Rules“ propagiert wird, könnte man fast vergessen, dass die Frauenbewegung ihren Ursprung in den USA genommen hat. Aber offensichtlich gehört die „Women’s Liberation“ der Vergangenheit an – sechs Jahre christlich-fundamentalistische US-Regierung schlagen sich selbst auf die „Dating Culture“ im liberalen New York nieder.
Shelley hat unlängst wieder einen Mann kennengelernt. Nach den ersten drei Dates (Kino, Restaurant, Theater) hat sie ihn beim vierten Mal zu sich eingeladen und sie hatten Sex. Trotzdem ist Kenneth anschließend nicht davongelaufen, sondern hat sie tags drauf angerufen.
Jetzt ist Shelley ganz euphorisch und bereitet sich innerlich schon auf Kenneth’ Heiratsantrag vor: (Kapitel II) „Wenn du alle Regeln befolgst, wird Mr. Right dich nicht nur heiraten wollen, sondern auch für immer und ewig obsessiv lieben.“
KIRSTEN GRIESHABER