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Ghanas großer Sprung steht aus

Noch ist der Sessel von Staatsoberhaupt J.J.Rawlings kein Schleudersitz. Aber dem Fliegerleutnant, der 1981 das Militär an die Macht putschte, steht eine erstarkende Opposition gegenüber. Tausende gingen im Mai auf die Straße, um ein Mehrparteiensystem zu fordern. Rawlings steht mit dem Rücken zur Wand. Die vom IWF verordnete Strukturanpassung hat den Hunger nicht beseitigt, Ghanas Exporterlöse gehen zunehmend für Kredite drauf.  ■ AUSACCRAEVALENZ

Im Jahre 8 nach Beginn der Strukturanpassung, die der Internationale Währungsfonds (IWF) Ghana verordnete, artikuliert sich in dem westafrikanischen Land die Opposition immer lautstärker. Die wachsende Unruhe in anderen afrikanischen Staaten, die Rufe nach Demokratisierung, Mehrparteiensystem und Einhaltung der Menschenrechte hat auch in jenem Land AnhängerInnen gefunden, das 1957 als erstes auf dem Kontinent seine formale politische Unabhängigkeit erlangte. „Es weht ein Wind durch Afrika“, sagt John Akparibo Ndebugre von der ghanaischen „Bewegung für Freiheit und Gerechtigkeit“ (MFJ) und greift damit eine beliebte Metapher auf, die für Afrikas erstarkende Demokratiebewegung steht. „Es ist nicht das erste Mal, daß dieser Wind weht. Er wehte, als die Kolonialisten hier waren — und es sieht so aus, als wehte er erneut, wo die Kolonialisten mit anderen Mittel wieder da sind.“

Noch ist die MFJ, eine Allianz gegen die Militärregierung des PNDC, des Provisorischen Nationalen Verteidigungsrates, ein zartes Pflänzchen aus acht Organisationen verschiedener politischer, ideologischer, religiöser und ethnischer Couleur. Geschäftsleute, Juristen und andere Intellektuelle haben in der heterogenen Opposition „von links bis rechts“, die sich im vergangenen August gegründet hat, ihre vorläufige politische Heimat gefunden. „Unsere Botschaft ist einfach: Wir wollen Demokratie in Ghana“, so der Rechtsanwalt Ndebugre. Dazu sollte endlich von einer unabhängigen Kommission eine Verfassung erarbeitet werden, in der demokratische Rechte, wie die Achtung von Menschenrechten, Pressefreiheit, Meinungs- und Versammlungsfreiheit festgeschrieben werden. Wichtig ist die Forderung nach einer unabhängigen Kommission auch deshalb, weil der National Commission for Democracy (NCD), die in diesem Mai ein Papier zur „Entfaltung einer neuen Demokratie“ vorgelegt hat, die Täuschung der Öffentlichkeit vorgeworfen wird.

Als regierungsfreundliches und mit Regierungsmitgliedern besetztes Gremium — auch der Vizevorsitzende des Provisorischen Nationalen Verteidigungsrates, Justice Annan, ist dabei — könne die Nationale Kommission gar keine neutrale Rolle in diesem Prozeß spielen. Sie wolle mit ihrer Arbeit eher den Weg zu einem Mehrparteiensystem, zu freien Wahlen und Organisationsfreiheit solange wie möglich blockieren.

Regierung füttert hungrige Menschen mit Wachstumsziffern

34 Jahre nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft und rund zehn Jahre nach dem Beginn der ghanaischen „Revolution“ des Provisorischen Nationalen Verteidigungsrates sehen viele GhanaInnen im derzeitigen Regime nichts anderes als einen gehorsamen Verwalter von IWF-Interessen, dem nichts vordringlicher ist als der Erhalt der eigenen Macht.

Der Provisorische Verteidigungsrat, eine Gruppe von acht Leuten, die sich in einer ehemaligen schwedischen Festung, dem „Castle“, in der Hauptstadt Accra hermetisch von der Bevölkerung abriegelt, regiert das Land zunehmend diktatorisch. Das Parlament ist aufgelöst, Parteien sind verboten, Zeitungen müssen seit 1989 registriert werden, was einer faktischen Zensur gleichkommt, und oppositionelle Stimmen, die es wagen sich kritisch über Regierungspolitik und Wirtschaftsprogramm zu äußern, müssen damit rechnen, inhaftiert zu werden. Derzeit sollen in den Gefängnissen 200 politische Gefangene sitzen und amnesty international (ai) erichtet von neun Hinrichtungen im vergangenen Jahr.

„Eine Kultur der Angst hat sich hier entwickelt“, beschreibt der Oppositionelle und Journalist Kwesi Pratt die Stimmung im Land. Die Leute würden sich nicht trauen zu sprechen, weil sie befürchteten, von der Staatssicherheitspolizei abgeholt zu werden. Pratt, Mitglied der Kwame Nkrumah Revolutionary Guards, einer der Gruppierungen, die dem PNDC 1981 noch als erste zur Machtübernahme gratulierten, hat inzwischen wieder die Fronten gewechselt und gehört zu den wenigen offenen und prononcierten Kritikern des Regimes. Seit 1986 wurde er deshalb wiederholt verhaftet und ohne Anklage festgehalten, das letzte Mal am 25.Mai dieses Jahres. Nachdem er in Accra in der Nähe des belebten Nkrumah Circle Plakate mit der Forderung nach Demokratie und Einhaltung der Menschenrechte aufgehängt hatte, nahm ihn die Polizei mit Sturmgewehren im Anschlag fest, schlug ihn zusammen und ließ ihn zwei Tage später auf Kaution wieder frei.

Pratt, stellvertretender Vorsitzender der MFJ, ist in Ghana wegen seiner scharfen Zunge beliebt. So stellt er auf Pressekonferenzen Regierungsvertreter bloß, wenn er etwa fragt, ob es denn die Menschen satt mache, wenn man sie mit statistischen Wachstumszahlen füttert. Ihn und Akoto Ampaw, einen zweiten aus der Führungsriege des MFJ, hat die staatlich kontrollierte Tageszeitung 'People's Daily Graphic‘ seit einiger Zeit auf dem Kieker. Die beiden bestgehaßten Oppositionellen würden zu „gewaltsamen Aufständen“ aufrufen und Waffen für die Bewegung organisieren, war da jüngst zu lesen. Eine lebensgefährliche Unterstellung in einem Staat, wo die Militärs das Sagen haben.

„Es ist genug. Nach zehn Jahren kann eine Regierung sich nicht mehr provisorisch nennen“, das denken mit der MFJ viele in Ghana und wünschen sich nichts sehnlicher, als daß der Provisorische Verteidigungsrat so schnell wie möglich abtritt. Dabei war der Fliegerleutnant Jerry J. Rawlings, als er gemeinsam mit anderen jungen Offizieren 1981 gegen die korrupte Regierung Hilla Limanns putschte, durchaus mit hehren Zielen angetreten. Gegen die gewaltige Vetternwirtschaft und das Mißmanagement in Behörden und Betrieben, für soziale Gerechtigkeit und ein basisdemokratisches System sollte die neue Regierung stehen. Die kollektive Führung des Miltiärrates hatte sich damit einiges vorgenommen. Denn Ghanas koloniales Erbe ist seine Rolle als Rohstofflieferant für den Weltmarkt. Die Wirtschaft ist, wie die vieler anderer postkolonialer Staatengebilde, vom Export einiger weniger Rohstoffe abhängig. Gold, Diamanten, Holz und allem voran der Kakao bringen die benötigten Devisen ins Land.

Zum Zeitpunkt der Machtübernahme stand die Wirtschaft kurz vor dem Kollaps. Bei sinkenden Erzeugerpreisen sah in Ghana kaum noch jemand ein, für den Export zu arbeiten. Der Schmuggel von Gold und Kakao in die Nachbarländer und der Schwarzmarkt mit Devisen blühten. Zusammen mit der Korruption und einer ineffizienten Bürokratie, die nicht mehr bereit oder in der Lage war die Steuern von Geschäftsleuten, Ärzten und anderen gut Verdienenden aus der Mittel- und Oberklasse einzutreiben, führte das zu einer Inflationsrate von 120 Prozent. Doch moralische Integrität und der spartanische Habitus der Gruppe um J.J. Rawlings, Enthusiasmus für das neue Regime besonders in der Industriearbeiterschaft, unter Fischern, Bäuerinnen und Bauern und selbst der unbeirrte Einsatz von StudentInnen zum Wiederaufbau der Kakaoproduktion reichten nicht aus, um die ghanaische Ökonomie wiederzubeleben.

Weltbank macht Ghana zum Testfall im Afrika südlich der Sahara

Linke und gemäßigte Kräfte innerhalb der Regierung stritten um den einzuschlagendene Weg aus der Misere. Während die einen auf die Unterstützung des Ostblocks und Gaddafis setzten, sahen die anderen das Heil in den Dollars internationaler Banken, um die heruntergekommenen Straßen, Häfen und Schienenwege, das zusammengebrochene Gesundheits- und Bildungssystem und den verfallenen Exportsektor zu rekonstruieren. Ohne „foreign exchange“, so hieß es bald, keine Entwicklung und im April 1983 begann, was das Magazin 'West Africa‘ einige Jahre später Gahnas „Zeitbombe“ nannte, das Economic Recovery Programm (ERP), finanziert vom Internationalen Währungsfond. Für Währungsfond und Weltbank erhielt Ghana den Charakter eines Testfalls für das gesamte Afrika südlich der Sahara. Hier sollte mit einem „ghanaischen Wirtschaftswunder“ der Welt und besonders der „dritten“ Welt demonstriert werden, wie es möglich ist, ein Land mit darniederliegender Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen.

Die Metamorphose der anfänglich revolutionären Rhetorik und Praxis des Militärregimes zum „blue-eyed boy“ des Währungsfonds ging allerdings in Rekordzeit vonstatten. Mit bemerkenswerter Konsequenz setzte der Provisorische Verteidigungsrat die harte Politik der Inflationsbekämpfung, die Auflagen wie Geldabwertung, Massenentlassungen und verstärkte Besteuerung besonders von Selbständigen durch und eröffnete sich damit den Zugang zu weiteren privaten und öffentlichen Geldern aus dem Norden und Fernost. Erste Unruhen unter der zuvor loyalen Arbeiterschaft gab es ab 1984, als Hunderte von ihre Entlassung über das Radio mitgeteilt bekamen. Die Mai-Demonstration im folgenden Jahr 1985 wurde das erste Mal zur Manifestation der Unzufriedenheit genutzt. Der Verteidigungsrat der Militärs sah sich mit Forderungen konfrontiert, seine Wirtschaftspolitik zu überdenken, die zu Lasten der ArbeiterInnen ging, und er bekam Parolen wie „Wir wollen nicht vom IWF regiert werden“ zu hören. Statt mit Diskussion reagierte das Regime mit der Knute. Zunehmend wurde seither die politische Debatte aus der Öffentlickeit verbannt. Die Bevölkerung setzte auf Konfliktvermeidung und neben viele religiösen Slogans war in Bussen und Buschtaxis jahrelang auch der Spruch „Don't talk Politics“ zu lesen.

In der Tat sind bis heute die Sanierungserfolge, was die Senkung der Inflationsrate, die Instandsetzung der Infrastruktur und die Zunahme der Exportproduktion von Kakao, Gold und zuletzt Holz angeht, beeindruckend. Aber die Verschuldung des Landes ist es ebenfalls. Bis 1988 stieg allein die Schuldendienstquote auf mehr als 60 Prozent der Exporterlöse. In seinem letzten Jahresbericht mußte Finanzminister Kwesi Botchwey feststellen, daß 1990 das „wahrscheinlich schwierigste Jahr seit Beginn des Economic Recovery Program war“. Dennoch versucht die Militärregierung keineswegs das Land aus den Fesseln von IWF und Weltbank zu lösen, sondern erklärt der Bevölkerung mit schöner Regelmäßigkeit, was sich auch bei seinen Finanziers nachlesen läßt: Es ginge vorwärts, die Wirtschaft habe sich erholt und wachse jährlich um sechs Prozent. Den Hunderttausenden von GhanaInnen, die sich kaum noch eine Mahlzeit am Tag leisten können, muß dieser statistische Wert allerdings wie ein Hohn vorkommen. Die Märkte sind zwar voll, und es gibt wegen der Importliberalisierung viele Dinge zu kaufen, die es früher nicht gab. Aber die Preise sind hoch, zu hoch für die niedrigen Einkommen. Ein Huhn etwa, direkt aus dem Stall gekauft, kostet 1.300 Cedis. Bei einem Mindesteinkommen von rund 200 Cedis am Tag, das ist umgerechnet knapp eine D-Mark, muß da nicht lange gerechnet werden, wie weit das Geld für eine mehrköpfige Familie reicht.

Es ist Saddams Schuld, wenn dem „Boneshaker“ das Benzin ausgeht

Zusätzlich wurden die Preise noch durch den zeitweisen Anstieg der Ölpreise während der Golfkrise im letzten Jahr in die Höhe getrieben. Die Regierung nutzte die Gunst der Stunde und erhöhte den Benzinpreis im August prophylaktisch um mehr als das Dreifache von 300 auf 1.000 Cedis die Gallone. Erst im Mai wurde er um lediglich 100 Cedis herabgesetzt. Eine solche Erhöhung schlägt direkt auf die Preise im Land durch. Der gesamte Transport von Gütern, von Ananas und Tomaten bis zu Yamswurzeln und Wellblechdächern, geht über die Straße. Öffentliche Verkehrsmittel sind Sammeltaxis, Kleinbusse und „Boneshakers“, mit Holzbänken ausgestattete Lkw. Der überhöhte Benzinpreis wird auf die Fahrgäste umgelegt, die daher auch ihre Schadenfreude nicht verbergen, wenn einem Fahrer mal auf der Strecke der zu knapp bemessene Sprit ausgeht. „Oh, Saddam“ ist unter ghanaischen Fahrern ein verbreiteter Fluch seit letztem August.

In diesem Frühjahr nun wurde zwischen Währungsfonds und Militärrat ein weiteres, drittes Strukturanpassungsprogramm zur Sanierung der Wirtschaft vereinbart. „Leider wissen wir nur zu genau, daß die einzigen in unserem Land, deren Wirtschaft sich erholt hat, die Mitglieder der Regierung sind“, resümiert Journalist Kwesi Pratt. „Sie sind es, deren Posten und Sportwagen von den Steuern bezahlt werden, die kein Benzin kaufen müssen, die wohnen ohne Miete zu zahlen. Ihre Ökonomie hat sich erholt, nicht die der Mehrheit des Landes.“

Die „Zeitbombe ERP“ tickt für das ghanaische Militärregime. Seit es im Juli 1990 eine sogenannte „nationale Diskussion über die politische Zukunft des Landes“ eingeleitet hat, sieht es sich massiven Forderungen nach einer politischen Veränderung und Mitsprache gegenüber. Derzeit versuchen die Offiziere des PNDC noch durch die Nationale Kommission für Demokratie mit minimalen Zugeständnissen den Status quo für die Zukunft festzuschreiben. Aber in der Universitätsstadt Cape Coast brachte eine Demonstration für mehr Demokratie am 18. Mai bereits einige tausend Menschen auf die Straße. Mit wachsendem Druck von Seiten der neuen Bewegung und der organisierten Arbeiterschaft, wird dem Regime wohl nichts übrig bleiben, als seine Positionen zu verändern. Denn der Wind nimmt langsam an Stärke zu.

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