Gewerkschaftler über Energiekonzept: "Kernenergie wird eindeutig bevorzugt"
Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), über das Energiekonzept der Regierung. Längere Akw-Laufzeiten lehnt er ab, man soll jedoch auf Kohle setzen.
taz: Herr Vassiliadis, am heutigen Samstag treffen sich tausende von Atomkraftgegnern zur Demonstration in Berlin. Sind Sie dabei?
Michael Vassiliadis: Ich bin zu der Zeit im Ausland und kann deshalb nicht dabei sein. Aber es werden Mitglieder der IG BCE da sein, und ich unterstütze den Protest.
Warum sind Sie gegen längere Laufzeiten von Atomkraftwerken?
Michael Vassiliadis, 46, ist Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Zur chemischen Industrie kam er durch seine Ausbildung zum Chemielaboranten bei Bayer in Dormagen in Nordrhein-Westfalen in den 1980er Jahren. Als Sohn griechischer Einwanderer ist Vassiliadis der erste Gewerkschaftschef mit Migrationshintergrund in der Bundesrepublik Deutschland.
Weil wir 2002 eine Vereinbarung über den Atomausstieg getroffen haben, die auch gesellschaftlich getragen wurde. Nun wurde dieser Konsens ohne Beteiligung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen gekündigt. Zudem wird der Eindruck erweckt, als wenn uns längere Laufzeiten für Kernkraftwerke direkt in einen Energiemix bringen, in dem die erneuerbaren Energien die Hauptrolle spielen. Das ist unseriös.
Atomkraft ist also keine Brückentechnologie?
Sie ist eine kleine Brücke bis ins Jahr 2022, so wie es im Atomkonsens vereinbart war. Bis dahin könnte die Kohleverstromung durch neue Technologien umweltfreundlich sein und die tatsächliche Brücke in das Zeitalter der erneuerbaren Energien bilden. Doch jetzt drohen Blockade und Protest.
Dieser richtet sich oft auch gegen neue Kohlekraftwerke. Denn Stromerzeugung aus Kohle können wir uns aus klimapolitischen Gründen auch nicht mehr leisten.
Das ist eine Frage der Technologie, die man fördern muss. Schon die rot-grüne Regierung hat nach dem Atomkonsens viel zu wenig getan, um die zweite Brücke zu bauen und die Kohleverstromung klimafreundlicher zu machen. Aber es ist möglich. Wir brauchen neue Kraftwerke mit einem höheren Wirkungsgrad und andere Innovationen, wie zum Beispiel die CCS-Technologie, bei der das Kohlendioxid im Kraftwerk abgeschieden und dann gespeichert wird.
CCS steht doch noch nicht im großem Maßstab zur Verfügung, und viele Experten halten es für fraglich, ob das technisch machbar und bezahlbar ist. Außerdem wächst der Protest in den Regionen, in denen das CO2 unterirdisch gespeichert werden soll. Die Speicher stehen auf dünnem Eis.
Teile der Politik setzen CCS-Speicher nahezu gleich mit Endlagern für Atommüll. Kohle und Kernkraft werden oft in die gleiche Risikoklasse eingeordnet. Aber das ist falsch: Ein Kohlendioxidspeicher ist kein atomares Endlager, das über Jahrtausende strahlt. Es gibt sicherlich Risiken, und die CCS-Technik ist noch nicht ausgereift. Aber daran muss man arbeiten. Den Klimawandel bekämpfen wir nur mit bester Technologie. Und wer die Kohle nicht zukunftsfähig macht, wird länger auf Kernenergie angewiesen sein. Das aktuelle Energiekonzept der Bundesregierung ist doch ein erster Hinweis darauf.
Es gibt Alternativen. Die Zukunft liegt doch in einem dezentralen Energiesystem, die sich aus vielen verschiedenen Quellen speist, nicht in neuen Großkraftwerken, die eine zentralistische Struktur zementieren.
Sie übersehen dabei den Grundlastbedarf der energieintensiven Industrien und den Umstand, dass wir Strom noch nicht in ausreichenden Mengen speichern können. Außerdem ist das eine Frage des Geldes. Wenn ein Kohlekraftwerk früher als geplant nicht mehr gebraucht wird, weil die Erneuerbaren sich schneller entwickeln als erwartet, kann man es auch wieder vom Netz nehmen. Dafür muss der Betreiber dann einen Ausgleich bekommen. Sonst baut er erst gar keins.
Angeblich erwägt Vattenfall als Konsequenz aus dem Energiekonzept, keine neuen Kraftwerke mehr zu bauen und nach und nach aus der Kohleverstromung auszusteigen. Muss die Branche nicht genau darüber nachdenken?
Kohleverstromung verliert in Deutschland an Attraktivität. Die Akzeptanz in der Bevölkerung sinkt, die Kosten steigen durch den Klimaschutz, das Problem Abscheidung und Speicherung von CO2 aus Kohlekraftwerken ist noch nicht ganz gelöst. Das Energiekonzept lässt den Anreiz nun weiter sinken, weil Kernenergie eindeutig bevorzugt wird. Die Motivation, sich für Kohleverstromung zu engagieren, ist mit Sicherheit durch das Energiekonzept gesunken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe