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Archiv-Artikel

Gewerkschaft der Ich-AGs

Sergio Bologna, Historiker und Politikaktivist, mit Thesen zur „Neuen Selbstständigkeit“

Bremen taz ■ Irgendwie schien etwas zu fehlen. Sergio Bologna, einst Theoretiker militanter Streikbewegungen und Professor an der Uni Bremen, referiert in der Villa Ichon zur Entwicklung der Arbeit – doch von Klassenkampf keine Spur. Mit einer schicken Powerpoint-Präsentation wirkte der in den 1980er-Jahren mit Lehrverbot belegte Historiker eher wie ein Seminarleiter für Existenzgründer. Nicht von ungefähr: Der Mann ist mittlerweile Unternehmensberater.

SEARI, das „Insitut für sozioökonomische Handlungsforschung“, hatte geladen und der stuckverzierte Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Viele der Zuhörer dürften bereits als Studenten die Vorlesungen des Italieners besucht haben, junge Leute zumindest interessierten sich kaum für die „Erfahrungen mit der Selbstorganisation unter den neuen Selbstständigen in Italien“. Dabei waren die aufgeworfenen Fragen durchaus aktuell: Ist eine Ich-AG ein Unternehmen? Was für Probleme bringt die „neue Selbstständigkeit“ mit sich? Bologna hat selbst vor einigen Jahren ein Ein-Mann-Unternehmen gegründet und berät Firmen bei Logistikproblemen.

Dennoch sind die Fragen für Bologna, einst Aktivist von „Potere Operaio“ (Arbeitermacht) die gleichen geblieben: Wie können sich die „neuen Selbstständigen“ organisieren? Wie gehen sie mit der fehlenden sozialen Absicherung um? Das Publikum ist unschlüssig: Die Verhältnisse seien nicht übertragbar, wendet ein Zuhörer ein. Das vergleichsweise hohe Niveau der sozialen Absicherung in Deutschland zwinge weniger Menschen als in Italien das Wagnis der Existenzgründung einzugehen. Stattdessen gebe es verstärkt „neue Selbstständigkeit in den Betrieben“, beklagt sich ein anderer. Großbetriebe würden in kleine Einheiten aufgeteilt, die einzelnen Abteilungen konkurrieren um Aufträge „als wären sie eigene Unternehmen“.

Bologna kennt das Phänomen, lenkt die Diskussion aber wieder auf seine Untersuchungen zur Organisation der prekären Arbeitskräfte. Diese seien nämlich schon weit gediehen. „Am 1. Mai demonstrierten 300.000 Menschen in Mailand auf einer Parade zu Ehren des Schutzheiligen der Prekarisierten, San Precario. Zur parallel laufenden Gewerkschaftskundgebung kamen gerade mal 5.000.“ Christian Jakob