Gewaltiges Requiem: Gedenkfilm für die ermordeten Offiziere von Katyn

Dieser Film ist so wenig Filmkunst, wie man eine Liturgie als Performance wahrnimmt: "Katyn", die Krönung des Werks von Andrzej Wajda.

KAtyn: Tiefe Ergriffenheit möglich - wenn man sich ergreifen lässt. Bild: berlinale

Andrzej Wajda, 82, krönt sein Lebenswerk, das in den 50er-Jahren begann ("Asche und Diamant"), mit einem Monument. "Katyn", gedreht unter der Filmherrschaft des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, ist das in Film gemeißelte Denkmal für die polnischen Offiziere und Universitätsprofessoren, die 1940 auf Befehl von Stalin in der Gegend von Smolensk ermordet wurden. Die Rote Armee war 1939 in Ostpolen einmarschiert.

22.000 Opfer in Katyn. Ein Denkmal, ein Gedenkfilm, schien überfällig. Dem stand jedoch bis 1989 die kommunistische Lesart entgegen. Sie hatte als Täter die Nazis ausgemacht. Noch heute soll die Hälfte der Polen unsicher sein, wer eigentlich für die Massenmorde verantwortlich war. Der Film "Katyn" will dem abhelfen, und er wird im verunsicherten Polen sicherlich eine große Wirkung haben. "Katyn" ist eine eindringliche Lehrstunde, die an patriotische und religiöse Gefühle appelliert. Witwen und Waisen verdienen unser Mitgefühl. Von den vielen Uniformträgern, die nicht immer auseinandergehalten werden können, sind die Polen die Männer der Ehre. Wer sich nach 1945 den Kommunisten anpassen soll, zieht es vor, sich die Kugel zu geben.

Filmdokumente von den Massenmorden beglaubigen, was im eingängigen TV-Format nachgespielt wird. "Katyn" ist vom polnischen Fernsehen produziert worden. Eindrucksvoll ist, wie die von der Wehrmacht 1943 dokumentierte Exhumanation der Opfer von den Sowjets übernommen, instrumentalisiert und kommentiert wird. Aber um Argumentation geht es nicht. Es geht um ein gewaltiges Requiem und um das Finale der eigens komponierten Sinfonien von Krzysztof Penderecki. Auch steigern sich die liturgischen Elemente. Immer mehr Priester kommen ins Bild, die das Kreuz schlagen und die Bedürftigen segnen.

Eine Filmhandlung gibt es nicht, jedenfalls erschließt sie sich hier nicht. Das ist eine mutige Entscheidung, weil sie sich dem TV-Format verweigert. Auch gibt es niemanden, mit dem eine Identifikation möglich wäre, die durchgeht. Andererseits ist eben dadurch tiefe Ergriffenheit möglich - wenn man sich ergreifen lässt. Wem in der heiligen Messe die Schauer den Rücken runterlaufen, dem wird das möglicherweise auch im Kino passieren. Als Filmkunstwerk wird "Katyn" so wenig eine Rolle spielen wie eine Liturgie in einer Kathedrale, die meist nicht als Performanceleistung wahrgenommen wird. Kurzum. Man sollte von "Katyn" eher nicht als Filmleistung sprechen.

Überdeutlich und gewollt plakativ sind Bildsymbole, die Faktenkram ersetzen sollen. 1945 reißen die Kommunisten die polnische, weißrote Fahne auseinander. Die rote Hälfte pflanzen sie sogleich wieder auf, die weiße dient zum Stiefelputzen. Das ist ein Bild, das auch den letzten der Zielgruppe erreicht, die der Film in Polen ansteuert. Altmeister Wajda sucht in seinem Alterswerk Verständigung mit den Mitteln einer Art Ikonenmalerei. Wenn es funktioniert, hätten wir immer noch die Ästhetik der Vorabendserie, wohl aber angereichert mit zeitgenössischem Lehrmaterial. Die Quote wirds zeigen.

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