Gewaltfrage: Krawall bei Attac
Wie deutlich muss man sich von militanten Protestlern distanzieren? Die Frage entzweit die Führungsriege von Attac. Manchen ist die Distanz zu groß geworden, andere wollen mit den Kirchen paktieren.
Das Lächeln muss Werner Rätz schwer gefallen sein bei der Verkündung der Jubelmeldung: "Wir haben die größte globalisierungskritische Massenmobilisierung erlebt, die es in Deutschland je gegeben hat", triumphierte der Attac-Vertreter vergangenen Freitag bei der Bilanzpressekonferenz der Protestierer. "Mit dieser breiten Bewegung wird künftig zu rechnen sein."
Nur: Wen Rätz damit genau meinte, spezifizierte er nicht weiter - aber er wird die globalisierungskritische Bewegung als Ganzes gemeint haben, nicht etwa Attac. Denn wie es mit dem Netzwerk weitergeht, ist ungewiss. Attac steckt in einer handfesten Führungskrise.
Aktueller Auslöser ist die Gewaltfrage. Zwar hatten sich sämtliche führenden Attac-Mitglieder von den Ausschreitungen am Rande der Auftaktdemo in Rostock distanziert. Rätz, 55, der dem linken Flügel des Netzwerks angehört, hatte sich bei den Bürgern von Rostock entschuldigt und eingeräumt, dass die in Attac zusammengefassten Globalisierungskritiker kaum wüssten, wie sie mit den militanten G-8-Gegnern umgehen sollen.
Auch Pedram Shahyar, 33, distanzierte sich von den Angriffen auf zwei Verkehrspolizisten in Rostock: "Es gibt keine Rechtfertigung für diese Angriffe." Wie Rätz gehört Shahyar gleichzeitig zu Attac und zur Interventionistischen Linken (IL), aus deren Block heraus vermummte Demonstranten einen Polizeiwagen angegriffen hatten.
Unter Beschuss steht seit Rostock vor allem Attac-Mitbegründer Peter Wahl, 59. Denn der hatte Angriffe und Krawalle nicht nur verurteilt, sondern auch gefordert, dass er die "gewaltbereite Autonomenszene" auf keinen Demonstrationen mehr haben will. "Die haben mit uns nichts zu tun", so Wahl. Und daran hält er auch heute noch fest.
Aus Sicht von Shahyar und Rätz ist Peter Wahl zu weit gegangen. "Mit der Pauschaldiffamierung der Autonomen hat Wahl eine Leiche aus dem Keller geholt, die dort seit 15 Jahren ruhte", sagt Rätz. "Peter Wahl hat sie neu belebt." Attac hätte in seinen offiziellen Stellungnahmen stärker auf die Polizeigewalt eingehen müssen, kritisiert Shahyar. Die habe nämlich auch "gewaltig" zur Eskalation beigetragen.
Wahl wiederum kontert und spricht von einem "Konformitätsdruck von links außen". Er stehe mit seiner Meinung zur gewaltbereiten Autonomenszene keineswegs alleine da, sondern verteidige bloß den Konsens, den es bei Attac schon immer gegeben habe und von den meisten Mitgliedern auch geteilt werde. Und der lautet: Gewaltfreiheit.
Dabei müsste es den Köpfen von Attac eigentlich blendend gehen: Allein in der Gipfelwoche ist die Zahl der Mitglieder um 1.300 gewachsen und bewegt sich auf die 20.000-Marke zu. Und während es nach den Ausschreitungen gleich zum Auftakt zunächst danach aussah, der lang vorbereitete Protest gegen den G-8-Gipfel könnte in der Öffentlichkeit auf Bilder randalierender Demonstranten reduziert werden, gelang es den Globalisierungskritikern im Laufe der Woche, das Ruder wieder rumzureißen. Der Alternativkongress, an dem Attac beteiligt war, lieferte die Argumente, die zahlreichen friedlichen Blockaden die Bilder für die Titelseiten.
Die Gewaltfrage ist denn auch nur der Auslöser für die Krise bei Attac. Im Führungsgremium des Netzwerks brodelt es bereits seit geraumer Zeit. Abgesehen von persönlichen Fehden unter der alten Garde gibt es einen Richtungsstreit um die Frage, mit wem die Globalisierungskritiker Bündnisse schließen können - und mit wem nicht.
Wahl bemüht sich dabei, Nichtregierungsorganisationen und Kirchen stärker einzubinden als bisher, und kritisiert, wie herablassend manch Linker mit diesem "wichtigen Spektrum der Globalisierungskritik" umgeht. Shahyar hingegen wirbt um die linksradikale Szene. Für ihn muss es Attac "gelingen, Verbindungen zum aktivistischen Milieu noch stärker auszubauen".
Parallel zum Bündnisstreit zeichnet sich nach dem G-8-Gipfel ein genereller Personalwechsel bei Attac ab. Mit Wahl, Rätz und Sven Giegold sitzen drei Gründungsmitglieder im Koordinierungskreis, dem wichtigsten Entscheidungsgremium von Attac. Alle drei haben das Netzwerk von der ersten Stunde an maßgeblich geprägt - und alle drei hatten im Frühjahr angekündigt, bei der nächsten Wahl im Herbst nicht mehr anzutreten. Damit soll Platz für neue Aktivisten geschaffen werden.
Doch genau diese Nachrücker fehlen. Die Zeiten, in denen es bei der Wahl des Koordinierungskreises zu wahren Kampfabstimmungen kam, sind längst vorbei. Trotz des Mitgliederzuwachses finden sich bei Attac kaum mehr Leute, die ehrenamtliche Arbeit übernehmen wollen. "Viele fürchten, verheizt zu werden", sagt Shahyar.
Trotzdem macht sich der 33-Jährige für einen Generationenwechsel stark. Der könnte auch inhaltlich neue Schwerpunkte setzen. "Attac braucht ein politisches Projekt, das von Christsozialen wie Heiner Geißler bis zu Aktivisten von 'Block G 8' reicht", sagt Shahyar. Er schlägt vor, das Thema Privatisierung von öffentlichen Gütern stärker in den Vordergrund zu rücken. Dies würde die Mehrheit der Gesellschaft ansprechen, es gebe sowohl auf lokaler als auf globaler Ebene Anknüpfungspunkte und man könne generell die Eigentumsfrage aufwerfen - ein altes Anliegen der radikalen Linken.
Aber dass die linksradikale Szene auf diesen Zug aufspringt, ist eher unwahrscheinlich. Nach den Distanzierungen der Attac-Führungsriege von den Krawallen in Rostock hatten einzelne linksradikale Aktivisten gefordert, sämtliche Mitglieder des globalisierungskritischen Netzwerks aus dem Rostocker Widerstandscamp auszuschließen. Anmelder des Camps war Attac.
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