Gewalt in Syrien: Angeblich über 100 Polizisten getötet
Laut Regierungsangaben sollen bewaffnete Extremisten in Syrien 120 Sicherheitskräfte getötet haben. Oppositionelle hingegen sagen, die Armee hätte geschossen.
DAMASKUS/WASHINGTON dpa/afp | In Syrien gibt es widersprüchliche Aussagen zum Tod dutzender Polizisten. Die Regierung hatte am Montagabend erklärt, bewaffnete Extremisten hätten in der Provinz Idlib 120 Angehörige der Sicherheitskräfte getötet. Innenminister Mohammed Ibrahim el Schaar erklärte, mit Entschiedenheit und Härte gegen "bewaffenete Angriffe" vorgehen zu wollen.
"Die bewaffneten Gruppen haben ein regelrechtes Massaker begangen", berichtete das Staatsfernsehen. Sie hätten die Leichen verstümmelt und andere in einen Fluss geworfen. Zudem seien Regierungsgebäude in Brand gesteckt worden. Zuvor hatte der Sender berichtet, zahlreiche Polizisten seien aus einem Hinterhalt heraus ermordet worden.
Mehrere Exil-Oppositionelle, die helfen, den Transport verletzter Zivilisten aus der Provinz in die Türkei zu organisieren, sagten dagegen der Nachrichtenagentur dpa am Dienstag, die Soldaten seien von Angehörigen der Armee erschossen worden, weil sie sich geweigert hätten, in der Ortschaft Dschisr al-Schogur auf unbewaffnete Zivilisten zu schießen.
Junger Mann ruft zur Meuterei auf
Menschenrechtsaktivisten sagten der Nachrichtenagentur AFP, es habe offenbar eine Meuterei beim Militär gegeben, daraufhin seien Schüsse gefallen. Ein weiterer Aktivist sagte, es seien möglicherweise Polizisten ermordet worden, die sich zuvor geweigert hätten, auf Demonstranten zu schießen.
Der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira strahlte unterdessen eine Videoaufzeichnung aus, die einen jungen Mann in der Uniform der syrischen Armee zeigt. Er erklärt, er sei desertiert. Zur Begründung sagt er, das brutale Vorgehen der Armee gegen friedliche Demonstranten sei ein Verbrechen. Er rief die Offiziere der Städte, in denen die Armee auf Demonstranten geschossen hatte, zur Meuterei auf.
Die syrische Führung macht "bewaffnete Banden" für die Gewalt im Land verantwortlich, seit sich Präsident Baschar el Assad einer beispiellosen Protestbewegung gegen seine Herrschaft ausgesetzt sieht. Seit Samstag ist die Armee in Dschisrasch Schugur im Einsatz, um dort gegen Regierungsgegner vorzugehen. Ähnliche Einsätze hatte es auch in anderen syrischen Städten seit Beginn der Protestbewegung Mitte März bereits gegeben. Seitdem sind schätzungsweise 1.300 Menschen getötet worden.
Die Regierung kündigte in den vergangenen Wochen mehrere Reformen in den Bereichen Wirtschaft und Soziales sowie ein neues Parteiengesetz an. Die Protestbewegung, die zunächst nur eine demokratische Öffnung gefordert hatte, fordert inzwischen den Sturz des Regimes des Präsidenten.
Frankreich will UN-Resolution zur Abstimmung stellen
Unterdessen will Frankreich mit einer von mehreren europäischen Staaten vorangetriebenen Resolution des UN-Sicherheitsrats den Druck auf Syrien erhöhen. Frankreich und seine europäischen Partner, die gemeinsam den Resolutionsentwurfs ausgearbeitet hatten, seien bereit, diesen zur Abstimmung zu stellen, sagte der französische Außenminister Alain Juppé am Montag (Ortszeit) in Washington. Es sei zwar "wahrscheinlich", dass Russland als UN-Vetomacht die Verabschiedung der Abstimmung verhindern werde. Die Unterstützer der Resolution seien aber bereit, dieses Risiko zu tragen.
Der Entwurf zu der blutigen Niederschlagung der Proteste in Syrien war Ende Mai von Deutschland, Großbritannien, Portugal und Frankreich in den UN-Sicherheitsrat eingebracht worden. Darin wird die Gewalt der syrischen Führung gegen die Demonstranten verurteilt. Ende April war ein Vorstoß im Sicherheitsrat erfolglos geblieben, das gewaltsame Vorgehen gegen die Opposition in einer gemeinsamen Resolution zu verurteilen.
Für den neuen Entwurf rechnet Juppé nun mit Unterstützung von elf der 15 Sicherheitsratsmitglieder. "Wir denken, dass es möglich ist, auf elf Stimmen für die Resolution zu kommen und werden sehen, was Russland dann macht." Der französische Chefdiplomat äußerte die Hoffnung, dass Moskau angesichts der breiten Zustimmung anderer Länder seinen Standpunkt noch einmal überdenke. Neben Russland haben die USA, Großbritannien, Frankreich und China ein Veto-Recht. Die USA unterstützen die europäische Initiative. Zur Haltung Chinas äußerte sich Juppé nicht.
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