Getreidezüchtung: Weizen unter Hitzestress
Aus Mangel an gutem Getreide wurde vor 100 Jahren die staatliche Getreideforschung initiiert. Heute stehen Geschmack und Gesundheit im Vordergrund - doch schon bald könnte Weizen wieder knapp werden.
Was die Wissenschaftler im Jahr 1907 bei der Gründung der Berliner "Versuchsanstalt für Getreideverarbeitung" an Getreide auf deutschen Äckern vorfanden, ließ wenig Appetitliches für den Frühstückstisch erhoffen: Weizen gedieh im kühlen, feuchten Deutschland weniger gut - zum Backen taugte er jedenfalls nur bedingt. Brotweizen wurde im großen Stil importiert: zunächst aus der Ukraine, der "Kornkammer Europas", später dann, nach den Weltkriegen, aus Nordamerika und Kanada.
"Bis in die 1960er-Jahre hinein war das so", berichtet Professor Meinolf Lindhauer. Er leitet den Standort Detmold der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel (BfEL), an dem das Institut für Getreide-, Kartoffel- und Stärketechnologie die Getreideforschung bis heute vorantreibt.
Also bestand das Brot der Deutschen lange Zeit vor allem aus Roggen. Der lässt sich zwar auch nicht besonders gut verbacken. Immerhin aber gedieh er auch im kalten Deutschland und war zur Genüge vorhanden. Allerdings hatte das Mehl in jedem Jahr eine andere Qualität. Je nachdem, ob es viel oder wenig geregnet, ob die Sonne oft oder selten geschienen hatte.
Auch die richtige Lagerung war eine große Herausforderung. Nur was die Ratten und Mäuse nicht frühzeitig fraßen oder Pilze und Schimmel vor der Zeit unbrauchbar machten, gelangte schließlich zu Müller und Bäcker. Nicht selten in bedauernswert feuchtem Zustand.
Das konnte einen guten Bäcker schon zur Verzweiflung treiben: Mal musste er viel Wasser in den Teig geben, mal wenig. Mal gelang das Brot - oft eben aber auch nicht. Qualität war Glückssache.
Genau das sollte sich ändern. 1860 hatte Gregor Mendel die Regeln der Vererbungslehre entdeckt. 1904 begründeten Walter Sutton und Theodor Boveri die Chromosomentheorie der Vererbung. Der Züchtung neuen Saatguts öffneten sich bislang ungeahnte Möglichkeiten.
"Heute sind in Deutschland 113 verschiedene Sorten Weichweizen aus deutscher Züchtung zugelassen. Mischungen aus verschiedenen Mehlen garantieren gleich bleibende Qualität über Jahre hinweg", hebt Lindhauer die Verdienste der Getreideforschung und der verarbeitenden Wirtschaft hervor.
In den vergangenen 30 Jahren ist aus dem Importland Deutschland ein Weizenexporteur geworden. Im Jahr 2005 exportierte Deutschland 11,6 Millionen Tonnen Getreide und Getreideprodukte, berichtet das Detmolder Institut.
Von der Auswahl des Saatguts über die richtige Düngung, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die Erntetechnik bis hin zu Lagerung, Vermahlen und Backen: Die Wissenschaftler der staatlichen Getreideforschung haben den gesamten Kreislauf des Getreideanbaus im Blick. Knapp 3.000 Getreideproben bereitet die Bundesforschungsanstalt in Detmold alljährlich für die sogenannte Besondere Ernte- und Qualitätsermittlung auf.
Die Ergebnisse lassen sich die Deutschen jeden Tag munden. Sie verspeisen so viel Brot wie wohl noch nie zuvor: Durchschnittlich 85 Kilogramm Brot und Kleingebäck isst jeder Bundesbürger im Jahr. Längst hat das Brot dem einstigen Sattmacher der Nation, der Kartoffel, den Rang abgelaufen. Standen von Beginn des 20. Jahrhunderts bis nach dem Zweiten Weltkrieg 200 Kilogramm Kartoffeln pro Kopf und Jahr auf dem Speiseplan der Deutschen, so sind es heute gerade noch 60 Kilogramm - rund die Hälfte davon in Form von Chips & Co.
Brot und vor allem Brötchen sollen aber nicht nur stets gleich gut schmecken - sie sollen auch gesund sein. Das Thema Sicherheit spielt eine immer größere Rolle. Die Detmolder Forscher widmen ihre Aufmerksamkeit Untersuchungen auf Rückstände von Pflanzenschutzmitteln oder Belastungen durch Schwermetalle. Das Getreide weise gute Werte auf, betont Lindhauer.
Die Ansprüche gehen weiter: Immer mehr Menschen in Deutschland wollen Bioware. Eine Welle, die das Land erfasst hat und deren Höhepunkt noch nicht absehbar ist. Lindhauer sieht den Bioboom kritisch: "Der ökologischen Anbau bringt 30 bis 50 Prozent weniger Ertrag als der konventionelle." Die Ernährung der gesamten Bevölkerung auch nur eines Landes ausschließlich mit ökologischem Anbau hält er nicht für realistisch.
Die Zukunft liegt Lindhauers Ansicht nach in der konventionellen Landwirtschaft. "Es ist machbar, so weit wie möglich umweltschonend zu produzieren und dennoch große Ertragsmengen zu erzielen." Entsprechende Entwicklungen in der konventionellen Landwirtschaft gebe es längst.
Der Getreideexperte weiß, dass er mit seiner Einschätzung Widerspruch aus den Reihen der Bioanhänger erntet. Er lehne den biologischen Anbau keinesfalls ab, betont Lindhauer, er sehe ihn aber deutlich differenziert als Erscheinung einer überversorgten Gesellschaft. Mit seiner Argumentation zielt er auf das zu erwartende Bevölkerungswachstum ab. "Im Jahr 2050 müssen weltweit 9,2 Milliarden Menschen ernährt werden. Die Entwicklung wird dahin gehen, dass wir den Ertrag noch weiter steigern müssen." Dazu müssen vorhandene Getreidesorten weiter spezialisiert werden. Zum Beispiel müssen künftige Züchtungen mit weniger Wasser, dafür mehr Sonne und Trockenheit zurecht kommen.
Anzeichen möglicher Auswirkungen des Klimawandels stellte die staatliche Getreideforschung erstmals im vergangenen Jahr in Deutschland fest: Der Weizen hatte Hitzestress - ein Phänomen, das bislang aus Anbaugebieten in Australien oder in Ägypten bekannt war.
Die Körner wiesen eine hierzulande noch nie aufgetretene Zusammensetzung des Eiweißes auf. Die Ernte bescherte eine überwiegend hervorragende Qualität. Aber die "mediterrane Verschiebung", wie die Wissenschaftler das Phänomen tauften, beruhte nicht auf Züchtung, sondern war eine Folge veränderter Umwelteinflüsse.
Ein Novum, das die Wissenschaftler vor neue Herausforderungen stellt. Lindhauer: "Für künftige Ernten müssen womöglich neue Untersuchungsmethoden entwickelt werden."
Andere Zukunftsvisionen muten an wie Science-Fiction-Fantasien: "Es gibt Forderungen nach der gezielten Züchtung von Getreidesorten, die mehr Ballaststoffe enthalten", sagt Lindhauer. Auch höhere Vitamingehalte oder Bestandteile zur Vermeidung von Krebserkrankungen stünden auf dem Wunschzettel mancher Ernährungsphysiologen. Die schöne neue Welt der Gentechnologie lässt grüßen.
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