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■ Gesundheitsschäden nach Extrem-MobbingOpfer der Mattigkeit

Nur mühsam kann er mit den Händen seinen schweren Kopf stützen. Tränen haben tiefe Furchen in die Gesichtslandschaft gegraben. Harald P. (51) ist Abteilungsleiter in einem großen Berliner Elektrounternehmen und Vorgesetzter von 17 Frauen. „Weiber“, winkt er nur müde ab.

Angefangen habe alles nach einer Talkshow mit Hans Meiser: Opfer erzählen. „Ich wußte sofort, das ist mein Ding.“ Kurz gerät Harald P. ins Schwärmen: „Der erste Versuch war ja noch bescheiden.“ Am nächsten Morgen sei er extra früher in die Firma gegangen und habe den Papierkorb seiner Sekretärin auf dem Schreibtisch entleert. „Ich glaub', da hab' ich Feuer gefangen“, gesteht P. mit einem Anflug von Sentimentalität. Still erinnert er sich an die Anfänge seiner Mobbing-Zeit. Mit Nadelstichen habe er „seine Weiber“ kleingekriegt: „Reißzwecke auf den Stuhl. Sollst mal sehen, wie die springen“, lacht P., und sein mächtiger Bauch hüpft auf und nieder, als wolle er davonlaufen. Doch dann sinkt die massige Gestalt wieder hinter dem Schreibtisch zusammen.

Zuviel habe er sich vorgenommen, alle 17 gleichzeitig und immer wieder feste druff. Das halte ja selbst ein Elefant nicht aus. P.s Krawatte baumelt nur knapp über einem alten Kaffeebecher, von dem langsam die Farbe abblättert. Die grüne Schrift ist noch gut zu lesen: „Die Polizei, dein Freund und Helfer.“

Später hätten die Frauen, „und zwar alle gleichzeitig“ jeden Morgen vor seinem Büro antreten müssen: „zum offiziellen In-den- Arsch-treten“. Mit feuchten Augen erinnert er sich daran, wie die Frauen verheult an ihre Arbeitsplätze schlichen.

Höhepunkte? Da müsse er sofort an Waltraud S. denken: Eines Tages habe er erfahren, daß sie in der Mittagspause zum Friseur gegangen sei. Daraufhin habe er ihr im Treppenhaus aufgelauert und eine mit Wasser gefüllte Plastiktüte auf den frisch frisierten Kopf geworfen. „Wie Lumpi ist sie davongetrollt“, lacht Harald P. Die Sauerei hätten selbstverständlich die anderen Frauen beseitigt, doch der richtige Spaß seien „Wasserbomben“ nie gewesen: „Viel zu umständlich, besser sind Psychotricks.“

Es hätte alles so schön sein können, doch immer dieser Undank aus der Chefetage. „Man macht, man tut, und wie wird es einem gedankt...“, entrüstet sich Harald P. Schließlich sei irgendein „Fritze aus der Gewerkschaft“ eingesetzt worden, wo doch eigentlich er der Mobbingbeauftragte gewesen sei. Aber niemand habe erkannt, welch verdienstvolle Tätigkeit er im Hause ausübe. Dabei habe er eine langjährige Erfahrung. Schon in der Schule habe er die Barbie- Puppen der Mitschülerinnen geköpft. Heute fühle man sich ja als anständiger Mobber regelrecht verfolgt, „wie zu McCarthy-Zeiten“.

Deshalb habe er seine Anstrengungen in letzter Zeit konsequent verdoppelt: Fremde Briefe wegwerfen; wichtige Dinge auf dem Tisch der Sekretärin „verlegen“ und „die Kleine anschließend zur Sau machen“; Gerüchte streuen; Scheinentlassungen aussprechen und alles sonstige, was zum anständigen Mobbing dazugehöre. Seit zwei, drei Wochen jedoch sei der Druck nicht mehr auszuhalten. Die ganze Aufgabe sei ihm über den Kopf gewachsen, dieses ewige Gefühl der Mattigkeit raffe ihn langsam dahin, murmelt Harald P. noch im Hinausgehen. Vielleicht ziehe er sich bald als Frührentner ins Privatleben zurück, um sich mehr auf seine Nachbarschaft zu konzentrieren. Ein kleines Luftgewehr habe er sich schon zugelegt. „Man weiß ja nie“, brummelt P. zum Abschied, während er einen langen müden Blick auf seine Sekretärin wirft. Michael Ringel

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