Gesucht: Geld, Kamera und Polizei : Italien: Präventives Abhören ist erlaubtVON MICHAEL BRAUN
Immer wieder wiegelten Italiens Innenminister Giuseppe Pisanu und sein Kollege vom Ressort Justiz, Roberto Castelli, in den letzten Wochen ab. Das vorhandene rechtsstaatliche Instrumentarium reiche vollkommen aus, Spezialgesetze zur Bekämpfung islamistischer Terrorgruppen brauche das Land nicht. Die Abwiegelei ist aber kein Ausdruck von Besonnenheit – alles das, was sich ein entschlossener deutscher Innenminister und eine noch entschlossenere Oppositionsführerin nur wünschen können: Italien hat es schon.
Beispiel Einsatz der Armee: In Italien bewachen heute schon 4.000 Soldaten zusätzlich zu 12.000 Polizisten jene Objekte, die als terrorgefährdet gelten. Eine innenpolitische Debatte hat dieser Einsatz nicht auszulösen vermocht.
Beispiel Telefonüberwachung: Seit jeher erlauben Italiens Richter der Polizei groß angelegte Abhöraktionen, ohne dass sich großer Protest regte. Die „Privacy“ zählt wenig in einem Land, das in den Siebzigern den Terror der Roten Brigaden bekämpfen musste und seit Jahren der Mafia Herr zu werden sucht. Ob rechts oder links – in den politischen Eliten wie auch unter der Mehrheit der Wähler war immer schnell Konsens herzustellen, wenn es um die Ermittlungsfreiheiten der Staatsanwälte ging. Fast unbemerkt verabschiedete das Parlament nach dem 11. September zudem ein Gesetz, das „präventive Abhöraktionen“, angeordnet vom Innenminister und der Justiz bloß noch mitgeteilt, gestattet: Da reicht ein vager Anfangsverdacht, um die Wanzen zum Einsatz zu bringen.
Beispiel Abschiebung von Terrorverdächtigen: Schon heute kann der Innenminister mit einem puren Verwaltungsakt Ausländer abschieben, die er als „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ einschätzt; gerichtstaugliche Beweise braucht er dafür nicht. Schon mehrfach in den vergangenen Monaten wurde diese Regel angewandt. So wurde im letzten November – direkt nach dem Anschlag auf das italienische Kontingent im Irak, der 19 Italiener und acht Iraker das Leben kostete – ein Imam in den Senegal zurückgeschickt, der durch Sympathieerklärungen für Bin Laden aufgefallen war. Und kurz darauf traf es sechs Marokkaner sowie einen Algerier. Die von der Polizei gesammelten Beweise gegen die Maghrebiner hatten dem Staatsanwalt nicht gereicht; das Innenministerium aber verfügte ihre sofortige Abschiebung, der die Inhaftierung in den Heimatländern folgte.
Beispiel Kronzeugenregelung: Das im Kampf gegen die Mafia und gegen heimische Terroristen erprobte Instrument steht auch für aussagewillige islamistische Terroristen zur Verfügung; wenigstens ein „Reuiger“ kooperiert inzwischen mit den italienischen Ermittlungsbehörden.
Paris: Andauernder Ausnahmezustand
VON DOROTHEA HAHN
„Vigipirate“ heißt Piratenwache. Es bedeutet die Mobilisierung aller bewaffneten Kräfte, um die Franzosen vor terroristischen Gefahren zu beschützen. Wenn „Piratenwache“ ausgerufen wird, werden die öffentlichen Papierkörbe Frankreichs durch schlaff herunterhängende, durchsichtige Plastiktüten ersetzt. Patrouillieren große Gruppen von Polizisten, Gendarmen und Militärs in Kampfanzug und mit Maschinenpistole im Anschlag durch fahrende Züge. Stehen an den Museumseingängen Männer, die strenge Blicke in Rucksäcke und Handtaschen werfen. „Vigipirate“, so die Überzeugung der Regierung, macht Frankreich sicherer. Eine Debatte über den Einsatz der Soldaten auch im Inland – wie etwa in Deutschland – gab es in Frankreich nicht.
Ursprünglich war „Vigipirate“ als Ausnahmezustand gedacht. Aber seit 1986, als der Plan nach den Attentaten des Terroristen Carlos erstmals aktiviert wurde, ist die Piratenwache beinahe zum Normalzustand geworden. Denn es kamen immer neue Bedrohungen dazu. Tatsächliche und potenzielle. Weihnachten 1994 entführten Algerier eine Air-France-Maschine, 1996 trugen franco-algerische Bombenleger den Terror in die S-Bahn der französischen Hauptstadt. Andere Attentäter wurden – so sagen die Terroristenfahnder in Paris – rechtzeitig „neutralisiert“. Zu Letzteren gehört die im letzten Jahr aufgeflogene „Tschetschenen-Verbindung“, die Attentate auf russische Einrichtungen in Frankreich geplant haben soll, sowie zahlreiche junge Einwanderer aus nordafrikanischen Familien, die in den letzten Monaten bei großen Razzien festgenommen wurden. Die Attentate und natürlich die Anschläge des 11. September haben es der rechten Regierung Raffarin zudem erleichtert, die Möglichkeiten für Telefonüberwachung und nächtliche Hausdurchsuchungen zu erweitern.
Am 11. März, dem Tag des Attentats von Madrid, galt in Frankreich seit ein paar Wochen die niedrigste von vier „Vigipirate“-Stufen: Gelb. Wenige Stunden später schaltete Premierminister Jean-Pierre Raffarin den Alarm wieder auf Orange hoch. Auf den Bahnhöfen und Flughäfen des Landes sogar auf Rot. Gleichzeitig versicherte er seinen Landsleuten, es gäbe keine „spezifische Bedrohung“. Seither kleben an den Plakatwänden wieder die bekannten Poster mit der Aufschrift: „Gemeinsam wachsam sein“. Die Gepäckschließfächer mussten nicht eigens verriegelt werden: Sie wurden schon in den 90er-Jahren stillgelegt.
Parallel zur „Piratenwache“ findet eine weniger ostentative kontinuierliche Arbeit im Hintergrund statt. Frankreich leistet sich ein halbes Dutzend Untersuchungsrichter, die sich ausschließlich mit Terrorismus befassen. Im Antiterroreinsatz sind – so informierte Ex-Innenminister Nicolas Sarkozy die Parlamentarier – mehr als 750 Agenten des französischen Verfassungsschutzes, die auf „Infiltration“ spezialisiert sind, sowie 153 Mitarbeiter der nationalen Antiterrorismusdirektion des Geheimdienstes. Ihre Arbeit verschlingt ein Jahresbudget, so Sarkozy, von 6 Millionen Euro. Dazu kommen noch die 40 Prozent der Mitarbeiter des inneren Geheimdienstes DST, die sich ihrerseits auf die Terrorbekämpfung konzentrieren. Die französischen Antiterrorkämpfer reichen ihre Informationen an das Innenministerium weiter, wo sie von einer ständigen Arbeitsgruppe analysiert werden.
Polen: Journalisten legen Bomben
VON GABRIELE LESSER
Kurz vor Ostern schürten Polens Boulevardblätter die Terrorangst. „Gott schütze den Präsidenten“, titelt Fakt und zeigt Aleksander Kwașniewski mit einem stilisierten Al-Qaida-Totenschädel im Zielfernrohr eines Gewehrs. Mitglieder des Terrornetzwerkes hätten die möglichen Folgen eines Anschlags in Spanien und Polen analysiert und sich auch mit der Rolle des polnischen Präsidenten im Irakkrieg beschäftigt. Die Amtszeit Kwașniewskis endet 2005. „Wir bitten Allah, dass ihn noch vorher die Erde verschlingen möge“, heißt es laut Fakt im Al-Qaida-Papier.
Angeblich, so will Superexpress wissen, habe das Terrornetzwerk Bin Ladens bereits vor Dezember 2003 über zwei Millionen Dollar auf polnische Konten überwiesen, um damit Waffen und Sprengstoff in Polen zu kaufen. Doch inzwischen sei Polen selbst zu einem möglichen Ziel der Terroristen geworden. Auch Innenminister Jozef Oleksy, der bislang immer abwiegelte und von einer eher theoretischen Gefahr für Polen sprach, warnt nun offen: „Die Wahrscheinlichkeit eines Terroranschlags in Polen ist deutlich zu sehen. Je mehr Streit es um unser Engagement im Irak gibt, umso größer wird der Anreiz, dies auszunutzen.“ Daher würde das Polizeiaufgebot bei den großen Pilgerfeiern, zum Marsch der Lebenden am Shoa-Gedenktag in Auschwitz und zum Europäischen Wirtschaftsgipfel Ende April deutlich erhöht.
Was tatsächlich an zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen wird, erfahren die Polen nur in homöopathischen Dosen. Möglicherweise soll so verhindert werden, dass auch Terroristen erfahren, wovor sie sich in Polen in Acht nehmen müssen. Die Folge ist allerdings, dass ständig Foto- und Fernsehreporter unterwegs sind und Sicherheitslücken aufdecken. So haben sie – völlig unbehelligt von Polizei oder Wachleuten – Bombenattrappen an Flugzeugen, in der Warschauer Metro und an Chemietanks angebracht. Die gleichzeitig von Regierungspolitikern ausgegebene Parole „Wir haben alles im Griff“ ließ das Vertrauen in Politik und Polizei in den Keller sinken.
Immerhin hat die Regierung ein Gesetz auf den Weg gebracht, das das Strafrecht entscheidend verändert: bislang gab es in Polen keine Definition für „terroristische Verbrechen“ und also auch keine Strafen dafür. Erst die Einführung des Antiterrorparagrafen macht eine grenzüberschreitende Verfolgung verdächtiger Personen möglich.
Auch der Krisenstab in der Regierung betreibt inzwischen eine offenere Informationspolitik. Vor kurzem gab er bekannt, dass die rund 500 privaten Helikopter und Flugzeuge in Polen, die Landeplätze und privaten Flugschulen unter eine genauere Sicherheitskontrolle gestellt würden.
London: Mit Reklame gegen al-Qaida
VON RALF SOTSCHECK
Für Sir John Stevens ist die Frage nicht ob, sondern nur wann es knallt. Londons Polizeichef vertritt die Ansicht, dass es einem Wunder gleichkäme, wenn keiner der selbstmordbereiten Terroristen bis in die Hauptstadt durchkäme. Schließlich wisse man, dass al-Qaida in Großbritannien sehr aktiv sei, sagte Stevens, ohne Einzelheiten preiszugeben.
Deshalb hat die britische Regierung den Kampf gegen den Terrorismus aber noch nicht aufgegeben. Sie will „Trainmarshals“ einsetzen, die als Passagiere getarnt in Zügen und in der Londoner U-Bahn fahren sollen. Außerdem soll die für den öffentlichen Verkehr zuständige Transportpolizei mit modernstem Handwerkszeug ausgerüstet werden, damit sie im Handumdrehen chemische, biologische, radiologische oder auch atomare Waffen erkennen kann.
Die Regierung hat 16 Millionen Pfund (24 Millionen Euro) bereitgestellt, um die britische Hauptstadt noch stärker als bisher von Kameras überwachen zu lassen. Und Londons Bürgermeister Ken Livingstone will 200 weitere Beamte einstellen, die für den Schutz der U-Bahn sorgen sollen. Wo das Geld dafür herkommen soll, ist noch unklar. Zwar hat die Regierung den Etat der Transportpolizei erhöht, doch Alex Robertson, der zuständige Gewerkschaftsboss, meint, dass jeder Penny davon für Rentenerhöhung und Mehrwertsteuer draufgehen werde. Und Ian Johnston, Chef der Transportpolizei, machte die Dimension des Problems deutlich: „Wir haben 2.200 Beamte, aber es gibt fast 3.000 Bahnhöfe in Großbritannien.“
Die Beamten, die für Notstandsplanung verantwortlich sind, haben die Regierung seit dem 11. September 2001 mindestens zwölfmal davon in Kenntnis gesetzt, dass die Bezirksverwaltungen nicht in der Lage seien, auf größere Terroranschläge adäquat zu reagieren.
Jason McCue, Anwalt und Berater bei der Terrorbekämpfung, glaubt jedoch, dass der Krieg gegen den „Neoterrorismus“ ohnehin nicht durch Militär gewonnen werden könne, sondern allein durch Propaganda. „Al-Qaida ist ein Markenname, der am 11. September auf den Markt geworfen wurde“, sagt er. „Bis dahin war das Produkt ein Ladenhüter. Dann wurde es der bekannteste Markenname der Welt. Um al-Qaida zu besiegen, muss man das Produkt madig machen und zeigen, dass es als Heilmittel für die Unterklassen genauso wenig taugt wie als Mittel gegen Haarausfall.“
„Neues Denken“ bei der Terrorbekämpfung – damit könne man al-Qaida wirklich schaden, meint McCue. Das habe Premier Blair vorgemacht, als er in Libyen zu Gaddafi ins Zelt kroch. Er habe der islamischen Welt gezeigt, dass der Westen kein exklusiver imperialistischer Club sei, sondern geläuterte Terroristen darin ihren Platz haben, wenn sie sich an die Spielregeln der internationalen Gemeinschaft halten.