piwik no script img

Archiv-Artikel

Gestern tui, heute hui

Der ganz neue Trend: Staying – statt Urlaub machen einfach zu Hause bleiben

Erst Jogging und Stretching. Dann Trekking und Dogging. Nun Walking. Was aber kommt morgen? Ganz einfach: Staying! Denn immer mehr Deutsche entdecken den Wert einer offensiven Asylgesetzgebung auch für sich selber, denken offen ans Bleiberecht. Staying heißt nämlich: einfach nicht wegfahren, bleiben und verharren, autorenitent und postmobil.

Bei Igeln ist es noch vorhandener Reflex, beim Menschen dauerte es immerhin 40 Millionen Jahre, bis er wieder darauf kam, dass es auch ohne Völkerwanderung, Verreisen und Vertreibung geht. Und dabei ist Staying ja so einfach. Kostet höchstens ein formloses Telefonat beim Reisebüro. Man gibt fröhlich durch, dass man sich dort die mühselige Sucherei sparen könne, keine Reservierung, keine Reiseversicherung fällt an. Und dem Gesprächspartner ein dicker Stein vom Herzen. Gestern tui, heute hui.

Dann klappert man sämtliche Geschäfte in der Nachbarschaft ab und gibt es ihnen mündlich: Man sei auch in den Ferien da und werde treuer Kunde bleiben. Auch sams- und sonntags. Freude und Lächeln hinterm Tresen. Bonbons und Wurstscheiben fliegen herüber. Und am verständnisvollsten nickt die Bedienung beim Egetürk, die sowieso nie verstanden hat, warum die Kundschaft nichts Eiligeres im Sommer zu tun hat, als ausgerechnet dahin zu jetten, wo man selbst noch heil rausgekommen ist.

Zudem ist Staying gut für die Moral: Jeder Urlaub, der nicht stattfindet, ist auch ein Boykott. Kein Urlaub ist sogar Boykott gegen alle. Da kommt kein Schurke dieser Welt ungeschoren weg. Und für die Transitländer entfällt die Mauterhebung, der Boykottgrund schlechthin.

Es gibt also viele Gründe, die für Staying sprechen. Nennen wir daher auch noch den letzten und wichtigsten Grund: Staying ist billiger und bequemer! Der Preisvergleich ist erdrückend: Urlaub kostet, Staying nichts. Auch unter Berücksichtigung des Preis-Leistungs-Verhältnisses. Für den sprichwörtlichen Nulltarif bietet Staying die vertrauten Sitten in gewohnter Umgebung. Wo gibt’s solchen Geheimtipp samt Service sonst noch? Wo es oft schon nebenan ganz anders zugeht und in den Koffern rumpelt. Oder, um mit Heidegger zu resümieren: „Das Dableiben geht dem Dasein ontisch und hannemannisch voran.“ Denn nur wer bleibt, kann letztlich da sein und die Post empfangen. Da strahlt das Nachsendeantragsformular.

Was allenfalls noch fehlt, ist die Kultfigur, die jeder neue Trend leider benötigt. Den Song lieferten schon 1960 Maurice Williams and the Zodiacs: „Stayayayayay …“. Und die Bee Gees zogen dann in den Siebzigerjahren nach: „Staying alive …“. Aber die Kultfigur? Hans Eichel vielleicht („Übrigens: Ich bleibe meiner Meinung!“). Oder Gottfried Benn („Ach, vergeblich das Fahren … bleiben und stille bewahren …“)? Oder gar Dritte? Warten wir’s ab. Oder noch besser: Bleiben Sie mit! REINHARD UMBACH